© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt, schlägt den Deutschen eine Radikalkur vor: „Vielleicht muß das Land durch vier grün-rot-rote Jahre und den etatistisch planwirtschaftlichen Quark ausprobieren.“ Man kann nicht behaupten, daß sich Poschardt in bezug auf eine Regierung mit grüner KanzlerIn und sozialdemokratischen wie (post)kommunistischen Koalitionspartnern Illusionen hingibt. Weder in bezug auf den Schutz des Privateigentums noch in bezug auf die Beschädigung des Wirtschaftsstandorts noch in bezug auf das Maß an Indoktrination und Gesinnungskontrolle, das uns bevorsteht. Was aber überrascht, ist die Naivität, mit der er darauf rechnet, es würde das System nach einer Legislaturperiode „von einer runderneuerten Union und FDP mit einer Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft reanimiert“. Man glaubt, durch ein Zeitloch in die 1970er zurückzustürzen. Denn auch damals haben viele Bürgerliche gemeint, die Niederlage von CDU/CSU und das Überlaufen der Liberalen seien Episode. Die könne nicht dauern, die schlimmsten Absurditäten werde die Wirklichkeit korrigieren und ansonsten könne man sich auf die Pendelbewegung verlassen, die von Links nach Rechts, von der Unvernunft zur Vernunft zurückschwinge. Welch ein Irrtum. Das, was man für ein Intermezzo gehalten hatte, dauerte mehr als zehn Jahre an, und damals zerstörte Strukturen und Bestände konnten niemals wiederhergestellt werden. Das hatte seine Ursache unter anderem in jener Art von „ruchlosem Optimismus“ (Schopenhauer dixit), der die Mitte zu der Auffassung verführt, es werde so schlimm schon nicht kommen.

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Dazugelernt: Diversity oder Diversität von diversitas, lateinisch für „Uneinigkeit“.

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„Welcher Wortführer der Globalisierung hätte vor einer Generation abgesehen, daß – als Konsequenz der Kriege in Syrien und dem Irak – ein Selbstmordattentäter, ein Brite libyscher Herkunft, Kinder in Manchester in die Luft sprengen würde? Daß die Sozialen Medien junge britische Bürger inspirieren würden, in den Mittleren Osten zu reisen, um minderjährige Gefangene als Sklaven zu nehmen und das Abschlachten ihrer Mitbürger in hochauflösenden Videos zum Schrecken und Entzücken der Zuschauer zu Hause aufzunehmen. Solche Greuel und des Staates verzweifeltes Bemühen für die Sicherheit einer zunehmend unruhigeren Bevölkerung zu sorgen, sind keine Anomalien, sondern die natürliche Folge schwindender Staatlichkeit.“ (Aris Roussinos)

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Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, ist besorgt. Der Grund: das Bemühen russischer, türkischer und chinesischer Anbieter, in Deutschland Lizenzen für die Ausstrahlung ihrer TV-Programme zu erhalten. Überall fürchtet, daß sie daran gehen könnten, die Narrative Putins, Erdoğans und Xi Jinpings durchzusetzen und so den Zuschauer auf Abwege zu führen. Er fordert, dem von staatlicher Seite Einhalt zu gebieten, auf daß wir nicht Opfer „einer zersplitterten, manipulationsanfälligen Aufmerksamkeit-Ökonomie“ werden, sondern auch fürderhin „in einer medial seriös informierten Gesellschaft mit Pressefreiheit“ leben. Nun mag man die Pläne Moskaus, Ankaras und Pekings für das mediale Ausgreifen so oder so beurteilen, aber eins steht sicher fest: Leute wie Überall haben ganz bestimmt nichts dafür getan, daß wir „in einer medial seriös informierten Gesellschaft mit Pressefreiheit“ leben. Die Einseitigkeit der Berichterstattung und der Konformismus der Berichterstatter sind offene Geheimnisse, und was die verdeckte Propaganda angeht, hat die längst alle Bereiche durchdrungen. Da ist es gleichgültig, ob es um das Sprachregime von Google und Co. geht oder um das Framing der öffentlich-rechtlichen wie privaten Meinungsmacher, die das bunt-divers-politisch-korrekte Kinderprogramm ebenso verantworten wie die NS-Vergangenheitsbewältigung in Permanenz oder die feministische Ausgestaltung des Sonntagabendkrimis. Und was die Einflußnahme von außen betrifft: Die welsche Schlagseite von Arte ist kein Zufall und die Tendenz des Computer-Ballerspiels auch nicht, dessen Entwicklung das Pentagon finanziert hat, um noch dem letzten deutschen Steppke die Vorstellung einzupflanzen, daß es keine besseren Soldaten gibt als die US-Marines.

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Gute Frage: „Mehrheit der DAX-Konzerne setzt auf Gendersprache – Warum tun die das?“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Online-Ausgabe vom 25. März 2021)

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„Ein Mann ohne Ziel ist nichts.“ (Sean Duffy)

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Die Kehrtwende der Kanzlerin im Hinblick auf den Oster-Lockdown hat nicht nur gezeigt, daß das Wort „Verantwortung“ gar keine Bedeutung mehr hat, sondern auch, daß die Entwertung mittlerweile den Begriff „Entschuldigung“ erreicht. Vom jugendlich-hingenuschelten „Schullung“ bis zur höchstamtlichen Bitte um Verzeihung geht es jedenfalls nie darum, für einen Fehler geradezustehen, sondern immer nur darum, sich selbst zu salvieren, in der Erwartung, daß die Sache damit gefälligst erledigt zu sein hat.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 16. April in der JF-Ausgabe 16/21.