© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

Das Licht in dunkelster Stunde
Gerd Krumeich über ein Bauernmädchen, das einem zerrissenen Frankreich Glaube und Sieg urückbringt: Jeanne d’Arc
Eberhard Straub

Die einzelnen Völker und Königreiche hatten sich – solange sie katholisch waren – dem Schutz einzelner Heiliger besonders anvertraut. Diese waren und blieben dennoch weiterhin herausragende Zeugen des Glaubens, ungeachtet ihrer Herkunft vorbildlich für alle. 

Bei der heiligen Johanna, der Jeanne d’Arc oder Jungfrau von Orléans, verhält es sich anders. Sie war Französin. Ihren begeisterten Glauben lebte sie im Zusammenhang mit ihrem unerschütterlichen Glauben an Frankreich, an ein heiliges Königreich, das unter den übrigen herausrage, weil der französische König die ausführende Hand des Christus – König bei seinem Weltregiment sei. Wer Krieg gegen Frankreich führt, der führt Krieg gegen Jesus Christus! Eine Botschaft, die sich mühelos seit der Revolution säkularisieren ließ: Wer sich Frankreich widersetzt, der kämpft gegen die Zivilisation und Humanität. Jeanne d’Arc gehört deshalb untrennbar zur französischen Nation und ihrer nationalen Heilsgeschichte. Mit dieser Seherin, Kriegerin und Heiligen beschäftigt sich die Biographie Gerd Krumeichs.

Es war Napoleon, der dazu aufforderte, in den Archiven nach Akten zu ihrer dramatischen Geschichte zu suchen. Denn die berühmte Jeanne d’Arc habe bewiesen, „daß es kein Wunder gibt, das der französische Genius nicht zu vollbringen vermöchte, wenn die nationale Unabhängigkeit gefährdet ist. Wenn sie vereint war, ist die französische Nation nie besiegt worden“. Allerdings sah er die Wunder der Jungfrau bewirkt nicht durch den Geist Gottes, sondern den der Nation. Gerade Republikaner und Laizisten würdigten die Bauerntochter in diesem Sinne als Inkarnation der Nation, direkt aus dem Volk stammend, dem Boden verhaftet, aus dem alles emporwächst, was den nationalen Geist kräftigt. Ihre Entschlossenheit, auf innere Stimmen zu horchen und unabhängig von der Kirche deren Geboten zu folgen, ließ sich gerade mit der bürgerlichen Freiheit vereinbaren, sich nicht bevormunden zu lassen und als energische  Bürgerin im Dienst für das Vaterland  und die nationale Gemeinschaft ihrer Bestimmung gerecht zu werden.

Die Kirche in Frankreich, die in der rebellischen, antiklerikalen Nation zuerst ihren Feind erkannte, hatte sich allmählich – spätestens unter dem kirchlichen Interessen sehr aufgeschlossenen Napoleon III. – mit der Nation ausgesöhnt. Deshalb wünschten 1867 französische Bischöfe die Heiligsprechung der Jungfrau von Orléans, weil ein solcher Akt glänzend die heute so wenig verstandene und doch so wesentliche Wahrheit bestätigen würde, „daß sich die christlichen Tugenden wunderbar mit bürgerlichen patriotischen Tugenden vereinen können“. Ja, wer der Kirche entfremdet ist, kann über die Vorbildlichkeit Johannas in den bürgerlichen Tugenden, die ihn prägen, die in ihnen verborgene christliche Heiligkeit entdecken. Auf diese Art ergänzten sich im Sinne politischer Theologie Nation und Heiligkeit, obschon die 1905 seliggesprochene nationale Heldin erst 1920 offiziell zur Heiligen der Kirche erklärt wurde. Ganz im Einverständnis mit dieser Tradition bediente sich General de Gaulle des nationalen Mythos, indem er Jeanne d’Arc ab 1940 mit seinem Befreiungskampf gegen die Deutschen verband, diese aus Frankreich zu vertreiben, wie einst die Heilige unermüdlich dazu antrieb, die Engländer  zu vertreiben, damit Frankreich wieder frei sein könne, das die Freiheit der Völker und Staaten wie seine eigene betrachte und Fremdherrschaft den Ursprung auch geistiger Übel sehe.

Die 1412 in Domrémy geborene  Jeanne, Tochter eines Bauern, kam aus dem Grenzland zum Heiligen Römischen Reich. Während ihrer Jugend hatten sich die Engländer einen erheblichen Teil des Königreiches unterworfen, lange im Bündnis mit den Herzogen von Burgund. Frankreich befand sich ununterbrochen im Bürgerkrieg, dem brutalsten aller möglichen Kriege und daher stets mit heftigsten Polemiken zwischen Freund und Feind verbunden, weil der Feind der Verwandte war. Jeanne d’Arc wuchs in leidenschaftlich erregten Zeiten auf, in der die Franzosen an sich und ihrem König irre geworden waren und neue Klarheit über Volk und Vaterland gewinnen wollten. Von diesen Stimmungen blieb die harmlose Analphabetin nicht unberührt, die plötzlich im Winter 1428 ihr Dorf verläßt. Gott habe sie nämlich beauftragt, zu Karl VII. aufzubrechen, den die Engländer nicht als König anerkannten, um ihn zu befähigen, als wahrer König Frankreich zu befreien und seiner Rolle als bevorzugter König unter den Königen gerecht zu werden.

Ihr religiöser Enthusiasmus überwand sämtliche Bedenken, ungeachtet daß Theologen und Staatsbeamte religiöser Schwärmerei mißtrauten und die Politik nicht mit Visionen und anderem Trug verquicken wollten. Sie vertrauten der Vernunft, schon um sich nicht von Häresien und anderem teuflischen Trug blenden und täuschen zu lassen. 

Christen glaubten, daß Gott Wunder wirken könne, sie fürchteten allerdings auch den Bösen, den Satan, als reale Kraft, die Verwirrung und Unheil stifte. Es gelang Johanna, alle Zweifel an ihr und ihrer Sendung zunichte zu machen. Sie eroberte mit den königlichen Truppen Orléans und ebnete dem umstrittenen Karl VII. den Weg nach Reims, wo er zum König gesalbt wurde. Damit war das Fundament gelegt für die allmähliche Befreiung Frankreichs von Fremdherrschaft und Bürgerkrieg, die 1449 erreicht war. Jeanne d’Arc hatte nicht vergeblich gewirkt. Doch sie selbst geriet 1430 in englische Gefangenschaft, und nach einem gründlichen Prozeß wurde sie am 30. Mai 1431 als Ketzerin verbrannt.

In diesem Verfahren vermischten sich politische Erwägungen, theologische Haarspaltereien, Ratlosigkeit aus Angst vor Häresien und die Leidenschaften von Juristen zu einem unentwirrbaren Knäuel. Das Erstaunliche war die Sicherheit, die Ruhe und die Geistesgegenwart Johannas, ihr unbeirrbarer Enthusiasmus für ihren König und ihr Vaterland, der ihre Richter und Gutachter – ausgezeichnete Gelehrte – in erhebliche Verlegenheit bringen konnte. Ihr Prozeß gehört zu den spektakulärsten in der Geschichte und ist einer der am besten dokumentierten. Als solcher beschäftigt er immer wieder Historiker und Dichter. Viele unter ihnen weigern sich, mit göttlichen Eingebungen und Wundern zu rechnen, aber nahezu alle sind beeindruckt – auch Gerd Krumeich – von dem Mut, der Energie, der Beredsamkeit dieser ganz auf sich gestellten freien Person, die sich und ihrem Glauben treu bleibt und ein großartiges Beispiel von Unerschrockenheit und geistiger Freiheit bot. 

Ihr König leitete nach seinem endgültigen Triumph 1449 über die Engländer sofort die Revision des Urteils ein, die 1456 abgeschlossen war. Jeanne d’Arc hatte das heilige Frankreich gerettet, und so ist sie im Laufe der Zeiten zur Heiligen Frankreichs geworden.

Gerd Krumeich: Jeanne d‘ Arc. Seherin – Kriegerin – Heilige. Verlag C.H.Beck, München 2021, gebunden, 399 Seiten, 28 Euro