© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

Frisch gepresst

Pariser Kommune. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen, so schauen Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ in die Glaskugel, werde nach der Weltrevolution eine „Assoziation“ treten, „worin die freie Entwicklung eines Jeden die Bedingung für die freie Entwicklung Aller ist“. Die von der „Konterrevolution“ abgetötete Keimzelle dieses Paradieses glaubten beide Sozialtheoretiker in der „Pariser Kommune“ zu erleben, dem von Proletariern und Kleinbürgern gewagten Experiment „gesellschaftlicher Selbstorganisation“, das unter deutscher Belagerung im März 1871 begann und Ende Mai von republikanischen Truppen blutig beendet wurde (JF 12/21). Lenin führte am 73. Tag nach seiner Machtergreifung im St. Petersburger Schnee einen Freudentanz auf, weil sich die Russische Revolution einen Tag länger als die Kommune behauptet hatte und nun als deren Korrektiv erscheinen konnte. Die US-Literaturwissenschaftlerin Kristin Ross zeigt in ihrer kenntnisreichen Rekonstruktion der Gedankenwelt der Kommunarden, daß Lenin nicht schiefer hätte liegen können. Sprach doch die Mensch und Natur brutal vernutzende Sowjetunion allen ökosozialistischen Pariser Entwürfen einer föderalistischen, solidarischen Weltrepublik hohn. Die für Ross deswegen nicht veraltet sind, da wir daraus lernen können, „daß unser Los nicht darin besteht, als ‘immaterielle Arbeiter’ ein postmodernes, kapitalistisches Hightech-Utopia zu bevölkern“. (wm)   

Kristin Ross: Luxus für alle. Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune, Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021, gebunden, 204 Seiten, 20 Euro





Schwarzer Tod. Nachvollziehbar nimmt der Freiburger Historiker Volker Reinhardt den Ball auf und verzichtet in seiner Monographie über die Große Pest zwischen 1347 und 1353 und ihre Auswirkungen auf das spätmittelalterliche Europa nicht auf Vergleiche mit der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie. So gab es in beiden Fällen bei ihrem Ausbruch kein Heilmittel, das soziale Gefüge geriet gehörig ins Rutschen, die Lust an der Denunziation wuchs, und bereits damals gab es die ständige Abwägung, inwieweit wirtschaftliche Einschränkungen mit Menschenleben aufzuwiegen seien. Und natürlich, so Reinhardt, schrieben sich die politischen Führer jeden Erfolg im Kampf gegen die Seuche selbst zu, Rückschläge jedoch anderen. Dennoch ist der Schrecken des aus der Region des Schwarzen Meeres mit Handelsschiffen nach Südeuropa importierten Schwarzen Todes nicht gleichzusetzen. Die Mortalität war gewaltig, ganze Regionen hatten signifikante Bevölkerungsverluste. Auch wenn mangels einer genauen demographischen Erfassung über die Opferzahl nur spekuliert werden kann, sind für Deutschland zwei Phänome zu konstatieren. Etliche Wüstungen lassen sich auf diese Zeit eingrenzen, und die zuvor durch ein stetiges Bevölkerungswachstum genährte Ostkolonisation kam endgültig zum Erliegen. Der Italienfachmann Reinhardt beschreibt besonders den oft hilflosen Umgang mit der Pest in der damals wirtschaftlich properierendsten Region Europas, einzig Mailand konnte mit dem unbarmherzigen Konzept totaler Isolation größere Todessopfer vermeiden. Auswirkungen wie Pogrome und Geißlerzüge spart er ebensowenig aus wie den „Great Reset“, der damals in der Gesellschaft nach der Pestepidemie anhand verschiedener Faktoren zu beobachten war. (bä)

Volker Reinhardt: Die Macht der Seuche. Wie die Große Pest die Welt veränderte 1347–1353. Verlag C.H. Beck, München 2021, gebunden, 253 Seiten, 24 Euro