© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

Die neue Lust auf Verstrickungen
Ein Sammelband niederländischer Historiker eröffnet ein Scherbengericht gegen Kaiser Wilhelm II. wegen angeblicher Beziehungen zum Nationalsozialismus
Andreas Lombard

Der Schriftsteller Reinhold Schneider berichtete in seinen Erinnerungen „Verhüllter Tag“ (1959) von einer denkwürdigen Begegnung im Herbst 1933 mit Prinzessin ­Hermine, seit 1922 zweite Gemahlin Kaiser ­Wilhelms II.: „Ihre Söhne, erzählte die Fürstin, hätten sie einmal mit ­Hitler bekannt gemacht. Ihre Frage an ihn: Warum er sich nicht verheirate? Seine Antwort: Weil ich keine Dynastie gründen will.“ Diese Anekdote weiß mehr über den Unterschied zwischen Monarchie und Nationalsozialismus als manche Forschungsliteratur. ­Hitlers Antwort war ein gezielter Affront, denn ­Hermine war eine geborene Prinzessin ­Reuß ältere Linie. Nicht nur als Ehefrau des letzten Deutschen Kaisers und Königs von Preußen repräsentierte sie jene Welt, die in Generationen gedacht, gelebt, gewirtschaftet und das eigene Leben dem Wohl der Dynastie untergeordnet hat. Das Gegenteil war der von den Nationalsozialisten praktizierte Selbstverzehr.

Von solchen Unterschieden weiß der neue Sammelband „Der Kaiser und das Dritte Reich“, in dem es laut Untertitel um „die Hohenzollern zwischen Restauration und Nationalsozialismus“ geht, gar nichts. Vielmehr will er die preußisch-deutsche Monarchie mit dem Nationalsozialismus in puncto Antisemitismus, Autoritarismus und völkischer Autochthonie möglichst in einen Topf werfen. 

Die vier Kapitel des von zwei niederländischen Historikern und einem Kunsthistoriker verfaßten Buches handeln von ­Wilhelm II. und ­Hermine im niederländischen Exil Doorn, von den Kaisersöhnen ­August ­Wilhelm und Kronprinz ­Wilhelm sowie von Kaiser­enkel ­Louis ­Ferdinand und dessen Enkel, dem aktuellen Hauschef ­Georg ­Friedrich Prinz von ­Preußen samt seinen Bemühungen, eine Entschädigung in Höhe von 1,2 Millionen für jene zwischen 1945 und 1949 im sozialistischen Machtbereich enteigneten Güter zu erhalten, deren heutiger Verkehrswert in einem hohen dreistelligen Millionenbereich liegen dürfte. 

Für die Bundesrepublik wäre das eine sehr günstige Gelegenheit, den Fall abzuschließen. Den grün-roten Politikern in Berlin und Potsdam geht aber selbst das zu weit, weshalb sie das Verfahren kurz vor Schluß erfolgreich aufmischten. Der vorliegende Sammelband mit einem Vorwort des geschäftsführenden Direktors des Museum ­Huis Doorn vermittelt kaum zufällig den Eindruck, eine Fortsetzung der „autoritären“ Monarchie über 1918 hinaus würde dieselbe Katastrophe herbeigeführt haben wie das mörderische Regime der Nationalsozialisten. 

Eine historische Publikation darf sich auch der kühnsten hypothetischen Geschichtsschreibung widmen – diese aber tut das natürlich pro domo, denn aus Potsdam sind oft ähnliche Töne zu vernehmen wie aus Doorn. Das früher meist aus „Kronenkraxlern“ rekrutierte Personal, das die vormals königlichen Schlösser pflegt und bewirtschaftet, ist heute allzu gern bereit, den verflossenen Stiftern ihrer an Schönheit und Kunstsinnigkeit nicht zu überbietenden Arbeitsplätze bei passender Gelegenheit in den Hintern zu treten. 

Dabei waren doch deren „Verstrickungen“, an denen sich auch dieses Buch abarbeitet, in der Regel so banal wie menschlich. Die Hohenzollern hofften, durch die Nationalsozialisten den Thron zurückzuerobern, und die Nationalsozialisten umschmeichelten die Hohenzollern, solange sie hoffen durften, daß ihnen das beim Aufstieg zur Macht nützen würde. Als sie fest im Sattel saßen, ließen ­Hitler und ­Goebbels die von ihnen verachtete Dynastie prompt fallen. Wenn jetzt sogar die Nachfahren des Kronprinzen in dritter (!) Generation wegen „erheblichen Vorschubs“ bei der Errichtung der NS-Herrschaft für die irrigen Hoffnungen von einst (und für die privaten Tiraden des verbitterten Ex-Kaisers) bestraft werden sollen, indem man ihnen mit dem fragwürdigen Gesetzeswortlaut von 1994 eine bescheidene Entschädigung für ihnen 1926 zugesprochenen Privatbesitz verweigert – obwohl Kaiser ­Wilhelm II. und seine Vorfahren bis 1914 fünfhundert Jahre lang beispiellos erfolgreich regiert haben –, ist das bestenfalls peinlich. 

Der Historiker ­Michael ­Wolffsohn hat kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung die von dem vorliegenden Band wohlwollend betrachtete Sippenhaftung zurückgewiesen, mit der die legitimen Ansprüche der Preußen torpediert werden: „Sowohl in der frühen Bundesrepublik als auch jetzt wird Raub, dem wetterwendischen ‘gesunden Volksempfinden’ folgend, legalisiert. Damals der Raub an uns Juden und seit 1990 jener am Adel.“ Am Ende könnte es nicht nur um das Haus Preußen, sondern um alle Deutschen gehen. Als „Mensch mit Nazihintergrund“ (Die Zeit) wäre nach Maßgabe der Causa Hohenzollern bald kein Deutscher seines Eigentums mehr sicher.

Jacco Pekelder, Joep Schenk u. a.:  Der Kaiser und das „Dritte Reich“. Die Hohenzollern zwischen Restauration und Nationalsozialismus. Wallstein Verlag, Göttingen 2021, gebunden, 136 Seiten 22 Euro