© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

Frisch gepresst

Mißbrauch. Gewalt und sexuellen Kindesmißbrauch gibt es in der römischen Kirche seit Jahrhunderten. Er verursachte keine institutionelle Krise, weil die Opfer meist schwiegen. Seit 1984 in den USA erstmals ein priesterlicher Sexstraftäter vor ein weltliches Gericht gebracht wurde, wird wenigstens darüber gesprochen. Das Schema von Vertuschung, Verleugnen, Regionalisieren, Besänftigung Betroffener, Versetzung von Beschuldigten, Weglobung verantwortlicher Bischöfe, in die Länge gezogener Verfahren, krasser Selbstbezogenheit („Die Kirche leidet am meisten unter den Sünden“) und der Sorge, einen Kleriker zu verlieren, ist weltweit immer dasselbe, wie die Autoren Reisinger, die als junge Nonne von einem Mitbruder vergewaltigt wurde, und Filmemacher Röhl („Verteidiger des Glaubens“) akribisch mit zahllosen Fallbeispielen dokumentiert haben. Joseph Ratzingers Wirken als langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation und späterer Papst war, folgt man den Autoren, nichts weniger als das eines Helden. Unbedingt Schaden vom Glauben abzuhalten und die Institution rein dastehen zu lassen, waren oberste Leitlinie seines Handelns. Das Buch will keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben, wie die Autoren eingangs bemerken. Daß diese den auch in der allgemeinen Diskussion ausgeblendeten Komplex Homosexualität und Jungenmißbrauch ausdrücklich negieren, ist ein Manko. Doch fassungslos bleibt der Leser zurück angesichts des Ausmaßes an Beschränktheit, Heuchelei und Zynismus hinter heiligem Schein. (ru)

Doris Reisinger, Christoph Röhl: Nur die Wahrheit rettet. Der Mißbrauch in der katholischen Kirche und das System Ratzinger. Piper Verlag, München 2021, 348 Seiten, 22 Euro