© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/21 / 02. April 2021

Die Kernfamilie im Visier
Eine Biologin und eine Soziologin haben in ihrem Kampf gegen das Patriarchat einen gemeinsamen Feind: die blutsverwandte Familie
Zita Tipold

Eigentlich kreist die Erde um die Sonne, doch für Feministen dreht sich die Welt nur um Männer. Eine dicke graue Wolke trübt ihren sonst so hell erleuchteten Gendersternenhimmel dabei ganz besonders: das Gespenst des Patriarchats. Nach wie vor gebe es eine männliche Vorherrschaft, die Frauen eine gleiche Teilhabe am öffentlichen Leben verwehre. Die Soziologin Carolin Wiedemann sagt den „Maskulinisten“ nun den Kampf an: Die Gesellschaft soll radikal umdenken – angefangen beim traditionellen Geschlechterverständnis. 

Im Gegensatz zu früheren Spielarten des Feminismus geht es bei den heute vorherrschenden „queerfeministischen“ Theorien nicht länger nur um Frauen, sondern auch um Transgender oder andere Angehörige sexueller Minderheiten. Die Einteilung von Menschen in Männer und Frauen sei widernatürlich, Geschlechterrollen würden lediglich anerzogen, so Wiedemann. Nicht nur das „Patriarchat“, sondern auch angeblich konstruierte Geschlechterrollen sollen demnach überwunden werden. 

Daß insbesondere sexuellen Minderheiten und ihrer Lobby bereits überproportional viel gesellschaftliche Macht eingeräumt wird, hält die Autorin für absurd. Keine einzige große deutschsprachige Zeitung und kein etabliertes Medium drücke sich bislang „gendergerecht“ aus. Auch wenn die Realität eine andere ist. Das ZDF setzt seit dem vergangenen Jahr verstärkt auf Gender-Sprache, ebenso die Bundestagsverwaltung, zahlreiche Stadtverwaltungen, die Evangelische Kirche in Deutschland, der deutsche Autohersteller Audi und viele weitere. 

Auch die sogenannte „Cancel Culture“ sei herbeiphantasiert. Hinter dem Vorwurf, unliebsame Personen würden zugunsten politischer Korrektheit gesellschaftlich ruiniert, stehen laut Wiedemann „antifeministische“ Akteure. Diese sind nach Überzeugung der Soziologin in mehrfacher Hinsicht weltanschauliche Gegner des Feminismus. „Antifeminismus und Antikommunismus gehören zusammen – genau wie Feminismus und Kommunismus“, schreibt sie. Letzterer sei nichts weniger als „die Utopie eines Zusammenseins von freien und damit gleichwertigen Menschen“ sowie „die Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft“. 

All das könne es ohne den Sturz des Patriarchats nicht geben, denn dieses sei stark mit dem Kapitalismus verwoben, der dazu diene, „andere auszuschließen, abzuwerten und ihre Ausbeutung zu legitimieren“. Zudem sei die Idee der „Väterherrschaft“ durch die patrilineareVererbung von Besitz überhaupt erst geboren worden. 

Nach einem teils von Trugschlüssen geprägten Abriß über die Theorien Friedrich Engels sowie einer nichtssagenden Collage von Positionen anderer Kollegen kommt die Soziologin im letzten Teil zur langersehnten Antwort, was denn nun gegen das Patriarchat zu tun sei. Ja, Linke bleiben klassisch: Wenn es nach Wiedemann geht, soll Schluß sein mit der blutsverwandten Kernfamilie. 

„Hier geht es nicht darum, einfach nur die Norm ein kleines bißchen zu erweitern, um selbst in ihr aufzugehen, sondern darum, das Prinzip der Normierung des Zusammenlebens aufzubrechen und das patriarchal-rassistische System, auf dem die bürgerliche kapitalistische Gesellschaft basiert, sukzessive zu untergraben.“ Hinter schmusig klingenden Begriffen wie „Polyamorie“ und „geteilter Fürsorge“ steckt letztlich nichts anderes als der Traum von der bindungslosen Hippiekommune in einer gänzlich entkernten Gesellschaft. 

Einen sanfteren Anlauf wagt die Biologin Meike Stoverock. Einen umfassenden, plötzlichen Gesellschaftsumbruch hält sie für gefährlich, schließlich sei unsere Zivilisation das Produkt einer jahrhundertelangen Entwicklung. In deren Zentrum stehe der Mann, der die Gesellschaft entlang männlicher Bedürfnisse gestaltet habe. Die Zivilisation sei somit „androzentristisch“ – alles drehe sich nur um ihn. Mit der Seßhaftigkeit der „männlichen Zivilisation“ sei aber eines der erfolgreichsten Konzepte der Evolution verschwunden: die weibliche Kontrolle über den Zugang zu Sex. 

Bei der „Female Choice“ handle es sich um das Urprinzip der Fortpflanzung, das heute nur noch in der Tierwelt zu finden sei. Demzufolge müssen Männchen um ein Weibchen werben. Nur die schönsten und am besten angepaßten von ihnen können sich dabei gegen ihre Konkurrenten durchsetzen – die anderen gehen folglich leer aus. Die Konsequenz ist eine hohe Rivalität. Um diese Konkurrenz-Aggression zu zügeln und möglichst jeden Mann mit einer Frau zu versorgen, sei die monogame Ehe geschaffen worden, so Stoverock. 

Fortan hätten Männer Frauen als „Ressource“ verteilt und über ihre Fortpflanzung bestimmt. Durch die Einführung von Besitz seien sie zudem abhängig von der lebenslangen Partnerschaft mit einem männlichen Versorger geworden. Die Konsequenzen dieser Macht-umkehr erschweren Frauen angeblich noch heute den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. 

Abhilfe soll bei Stoverock ebenso wie bei Wiedemann eine „befreite“ weibliche Sexualität schaffen. Dafür muß nach der Ansicht der Biologin und Ex-Frau des Irokesen-tragenden Autors Sascha Lobo „die Lüge weg“, denn um eine solche handle es sich bei der Idealisierung der lebenslangen Paarbeziehung. Frauen würden durch romantische Erzählungen in die „restriktiven Verhältnisse der monogyn-monoandrischen Beziehung“, die klassische Mann-Frau-Partnerschaft, gedrängt. 

Die traditionelle Kernfamilie unterdrücke nicht nur die sexuellen Instinkte der Frau, sondern führe bei den meisten Kindern auch zu „emotionalen Defiziten“, etwa durch Eifersucht unter Geschwistern, Scheidungen oder einer Sehnsucht nach elterlicher Zuwendung. Kurzum: Diese Lebensform sei „grotesk“. Speziell das Prinzip Treue müsse hinterfragt werden. Alternative Lebensmodelle gebe es zuhauf, „von offenen Beziehungen über Polyamorie mit mehreren Liebespartnern bis hin zur völligen Beziehungsanarchie“. 

Inwiefern wechselnde unstetige Beziehungen einer Mutter sich auf das Wohl ihres Kindes auswirken, läßt die Biologin außen vor. Ins gleiche Horn blasen beide Autorinnen bei der Überzeugung, die Gesellschaft müsse sich von der Vorstellung verabschieden, daß es zu jedem Topf einen Deckel gebe. Sie unterscheiden sich aber in der Frage nach Geschlechtlichkeit. Anders als Wiedemann wagt Stoverock die im Queerfeminismus als überholt geltende Auffassung, daß Geschlechter auch biologisch bedingt sind, gesteht jedoch, sich mit dieser Position auf ein Minenfeld zu begeben. 

Während Stoverock die Gesellschaft mit einem evolutionsbiologischen Urzustand abgleicht, geht es Wiedemann nur um Dekonstruktion. Hier prallen feministische Welten aufeinander, die sich im gemeinsamen Kampf um eine vermeintliche Befreiung der Frau dennoch die Hand reichen. 

Carolin Wiedemann: Zart und frei. Vom Sturz des Patriarchats. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021, gebunden, 210 Seiten, 20 Euro

Meike Stoverock: Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation. Tropen Verlag, Stuttgart 2021, gebunden, 352 Seiten, 22 Euro