© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Privilegien und Solidarität beim Impfen
Einmal Grundrechte, bitte
Mathias Pellack

Wer Grundrechte teilt, beendet de facto die Demokratie, schreibt die linke Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und hat damit schlicht recht. Wenn unser Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun mal wieder eine Kehrtwende hinlegt und Geimpften oder frisch Getesteten eine Möglichkeit bietet, ihre Grundrechte vor allen anderen Bürgern zurückzuerhalten, durchschneidet er das Band der Solidarität, mit dem sich junge Menschen in ihrer Mobilität beschränkt haben, um die Alten und potentielle Corona-Risikopatienten über ein Jahr zu schützen. Mit der Impfung werden nun aber zuerst die Alten in ihre Freiheitsrechte entlassen. Die Jungen hingegen können sich einen Ein-Tages-Grundrechte-Paß via Selbsttest für fünf Euro bei Aldi kaufen – zweimal pro Woche erhalten alle Nichtgeimpften diesen sogar vom Staat finanziert, wenn sie sich brav im Testzentrum anstellen.

Im Dezember wußte Spahn noch um diese gesellschaftlichen Verwerfungen und mahnte: „Viele warten solidarisch, damit einige als erste geimpft werden können. Und die Noch-Nichtgeimpften erwarten umgekehrt, daß sich die Geimpften solidarisch gedulden. Keiner sollte Sonderrechte einfordern, bis alle die Chance zur Impfung hatten.“ Ein Mensch, der einen derart wackeligen moralischen Kompaß hat, sollte besser kein Politiker sein. Denn Grundrechte sind prinzipiell unveräußerlich, unteilbar und nicht an Bedingungen geknüpft.