© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

„Man kann nicht Everybody’s Darling sein“
AfD: Der anstehende Parteitag droht von Personalquerelen überlagert zu werden – wie bewertet Bundessprecher Jörg Meuthen die Situation?
Christian Vollradt

Eigentlich steht beim Bundesparteitag der AfD an diesem Wochenende das Wahlprogramm für den Urnengang im September im Vordergrund. Eigentlich. Doch es ist nicht unwahrscheinlich, daß in Dresden wieder Personal- und damit auch Machtfragen in den Fokus rücken werden.

Der rund 70 Seiten lange Leitantrag der Bundesprogrammkommission liefert in erster Linie AfD-Klassiker: Volksabstimmungen auf Bundesebene werden genauso gefordert wie der Ausstieg aus dem Euro. Dazu eine restriktivere Einwanderungspolitik, die Begrenzung von Amts- und Mandatszeiten für Politiker; die Rückkehr zur Wehrpflicht, zu Magister und Diplom sowie zu einer nationalen Landwirtschaftspolitik. Auch das beim vorherigen Parteitag in Kalkar beschlossene Rentenkonzept fand Eingang ins Programm für die Bundestagswahl. 

Gut 170 Änderungsanträge stehen auf der Tagesordnung. Weit kontroverser könnte sich jedoch die Debatte um die Spitzenkandidaten entwickeln. Die Mitgliederbefragung ergab eine Mehrheit für die Basisentscheidung (JF 14/21); dennoch stehen mehrere Anträge auf der Tagesordnung, die Frage auf dem Parteitag zu klären. Ob – oder nicht, und wenn doch, wer …? Darüber dürfte recht kontrovers debattiert werden.

Heftig könnte es auch beim Antrag auf Abwahl von Bundessprecher Jörg Meuthen zugehen, selbst wenn Beobachter die dafür notwendige Mehrheit von zwei Dritteln der Delegierten für nicht sehr wahrscheinlich halten – und selbst erklärte Meuthen-Gegner dieses Thema nicht vor der Bundestagswahl auf die Agenda setzen wollen. Erfahrungsgemäß werden die Schlangen an den Saalmikrofonen dennoch nicht sehr kurz sein. 

Herr Meuthen, dieses Wochenende will die AfD ihr Programm für die anstehende Bundestagswahl beschließen. Doch auch jetzt wird wieder alles überlagert von Personalquerelen: Mitglieder drohen mit einem Abwahlantrag gegen Sie, der Bundesvorstand ist uneins über die Frage der Spitzenkandidaten. Nicht die besten Voraussetzungen, in den Wahlkampf zu ziehen, oder?

Meuthen: Bekanntermaßen wird auch in anderen Parteien die Frage nach dem oder den geeigneten Spitzenkandidaten gestellt. Das ist überall ein völlig normaler Vorgang. Nur bei uns konstruiert man daraus wieder einmal das bemühte Bild einer vorgeblich heillosen Zerstrittenheit, in der durchschaubaren Absicht, damit unsere Wählbarkeit zu diskreditieren. Ich selbst sehe das gelassen. Sie werden sehen, daß wir als Partei geeint und entschlossen in den Wahlkampf ziehen werden. 

Was spricht eigentlich Ihrer Meinung nach dagegen, in Dresden zu entscheiden: die AfD schickt einen ihrer Bundessprecher und die derzeitige Fraktionsvorsitzende als Spitzenteam ins Rennen?

Meuthen: Gegen eine Entscheidung dieser Frage in Dresden auf dem Bundesparteitag spricht zunächst einmal, daß sich unsere Mitglieder in einer Umfrage kürzlich mit sehr klarer Mehrheit für eine Entscheidung durch die Mitglieder selbst ausgesprochen haben. Das ist zwar nicht bindend für den Parteitag, aber ich hielte es für ein falsches Signal, dieses klare Votum unserer Mitglieder zu mißachten. Wenn wir wieder mit einem Spitzenkandidatenduo ins Rennen gehen sollten, bin ich der Meinung, daß die beiden Kandidaten im Interesse der Gesamtpartei so zusammengesetzt sein sollten, daß sie idealerweise die verschiedenen Strömungen in der Partei abbilden und damit wirklich alle mitnehmen. Das sehe ich selbst bei der von Ihnen angesprochenen Zusammensetzung eher nicht gegeben. Ich persönlich präferiere deshalb eine andere Kombination.

An der Befragung, in der sich eine Mehrheit für den Basisentscheid aussprach, hat sich weniger als ein Viertel aller AfD-Mitglieder beteiligt. So sehr scheint das Thema also die Partei nicht zu bewegen …

Meuthen: Das ist ein ganz normaler Wert für solche Umfragen.

Ketzerische Frage: Brauchen Sie überhaupt Spitzenkandidaten? Alexander Gauland meinte einmal, die AfD werde nicht wegen Personen, sondern wegen drei Buchstaben gewählt.

Meuthen: Es wäre töricht, auf Spitzenkandidaten ganz zu verzichten. Wir haben eine wie ich finde hervorragende Wahlkampagne, die wir in Kürze der Öffentlichkeit vorstellen werden. Kampagnen brauchen aber auch Gesichter, die sie vertreten. Natürlich haben wir in unseren Reihen viele gute Köpfe, die die Kampagne vertreten könnten. Doch die Menschen nehmen zu viele verschiedene Gesichter kaum wahr. Darum ist es so wichtig wie richtig, ein oder zwei Spitzenkandidaten als Gesichter der Kampagne nach vorne zu stellen. Ich bin mir auch sicher, daß darüber in unserer Partei Einigkeit besteht. 

Die Grünen haben ein Wahlprogramm, in dem faktisch ein Umbau unserer Gesellschaft geplant wird. Doch mit ihrer fluffigen Parteiführung können sie bis weit hinein in bürgerliche Kreise punkten und sich als Regierungspartei verkaufen. Bei der AfD das genaue Gegenteil: ein staatstragendes Programm, aber die Partei gilt als Paria. Fällt Ihnen die Paradoxie auf, was läuft da falsch?

Meuthen: Die Menschen neigen dazu, Wahlprogramme der Parteien nicht zu lesen, was bedauerlich ist. Im Falle des Wahlprogramms der sogenannten „Grünen“ kann, ja muß man den Menschen allerdings dringend anraten, hier einmal eine Ausnahme zu machen und das eingehend zu studieren. Wer danach immer noch erwägt, diese Partei zu wählen, dem ist nicht mehr zu helfen. Die Grünen sind hinter ihrer freundlichen Fassade eine Partei brachial sozialistischer Umerziehung des Volkes, die uns mit wahren Verbotsorgien überziehen wollen. Nur Feinde der Freiheit und unseres Landes, wie wir es aus guten Zeiten kennen, können eine solche Partei wählen. Sollten die in Regierungsverantwortung kommen, würde sich der unter Merkel eingeleitete schlimme Niedergang unseres Landes nochmals beschleunigen. Wir müssen und wir werden im Wahlkampf unmißverständlich klarmachen: Wir stehen für Freiheit und Wohlstand, die anderen, mit den Grünen vorneweg, für einen Weg in Sozialismus, Enteignung, massive Unfreiheit und ökonomischen Niedergang. 

Der Unmut über die Lockdown-Politik, unter der vor allem der gewerbliche Mittelstand und Familien ächzen, kommt offenbar nun vor allem der FDP zugute. Überläßt die AfD der Konkurrenz da zuviel Raum? 

Meuthen: Das liegt vor allem daran, daß der FDP gerade derzeit in den Medien deutlich mehr Raum gegeben wird als unserer Partei. FDP-Parteichef Lindner allein bekommt massiv mehr Platz eingeräumt als alle Vertreter unserer Partei zusammengenommen. Wann immer ich selbst die Gelegenheit erhalte, unsere Kritik an der unverhältnismäßigen und plumpen Lockdown-Politik der Regierung anzubringen, nehme ich diese wahr, und bekomme sehr viel Zustimmung dafür. Noch wird der FDP wie auch den anderen Parteien einfach mehr Raum gegeben, sich dazu inhaltlich zu positionieren, als wir ihn erhalten. Auch das muß und wird sich im Wahlkampf ändern, und wir werden diese Gelegenheit nutzen. 

Innerparteiliche Kritiker halten Ihnen vor, mit der Wutrede von Kalkar hätten Sie potentielle Wähler aus den Reihen der „Querdenker“ verprellt. Was entgegnen Sie darauf? 

Meuthen: Ich habe in meiner Rede in Kalkar bewußt sehr differenzierte Positionen vertreten, zur Bewegung der „Querdenker“ ebenso wie zu anderen Themen auch. Davon kann sich jeder leicht ein Bild machen, indem er sich das noch einmal neutral anschaut. Meine innerparteilichen Kritiker haben meine Rede, sei dies bewußt oder unbewußt geschehen, extrem einseitig aufgenommen und interpretiert. Entsprechend kraß fällt ihre Kritik aus. Das ist zwar nicht schön, aber damit muß und kann ich auch leben. Man kann nicht Everybody´s Darling sein. Das ist auch kein erstrebenswertes Ziel.

Mit Blick auf die Verluste bei den Landtagswahlen meinen nicht wenige Ihrer Parteifreunde, die AfD müsse sich nun verstärkt um das „prekäre Milieu“, um die Nichtwähler bemühen. Teilen Sie diese Einschätzung? 

Meuthen: Diese Einschätzung beruht auf zwei in dieser Zuspitzung nicht zutreffenden Annahmen. Erstens auf der, wir hätten fast ausnahmslos Stimmen in den Bereich der Nichtwähler verloren. Das ist falsch. Wir haben leider Stimmen in alle Richtungen und an alle verloren. In Baden-Württemberg zum Beispiel etwa ebenso viele an CDU und FDP wie in den Nichtwählerbereich, in Rheinland-Pfalz auch viele Stimmen an die Freien Wähler. Es ist also eine falsche Annahme, zu glauben, wir müßten nun nur die Nichtwähler zurückgewinnen, und alles sei damit gut und geheilt. So einfach ist das nicht. Zweitens ist es ein Irrtum, zu glauben, alle oder jedenfalls fast alle Nichtwähler gehörten dem prekären Milieu an. Auch das stimmt keinesfalls. Wer also nun meint, wir müßten uns als Schlußfolgerung aus diesen Wahlen in besonderem Maße dem prekären Milieu zuwenden und würden dafür dann mit grandiosen künftigen Wahlerfolgen belohnt, der ist auf dem Holzweg und macht es sich entschieden zu einfach.






Jörg Meuthen ist seit Juli 2015 einer von zwei Bundessprechern der AfD. Im November 2019 wurde er zuletzt auf dem Bundesparteitag im Amt bestätigt.