© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Ländersache: Sachsen
Zum Schießen
Paul Leonhard

An der Polizeifachhochschule wurden Prüfungsfragen vorab verteilt, in Leipzig Fahrräder aus der Asservatenkammer dutzendweise heimlich unter Kollegen verkauft, und jetzt gerät auch noch ein Mobiles Einsatzkommando des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen ins Visier der Staatsanwaltschaft: Für 7.000 Schuß beiseite geschaffter Munition sollen sich die Elitepolizisten Schießzeit für ein privates Training in Güstrow verschafft haben.

Beschuldigt werden 17 Beamte der Spezialeinheit, darunter deren Leiter und drei Schießtrainer. Es geht um Diebstahl und Beihilfe zum Diebstahl, Verstöße gegen das Waffengesetz und Bestechlichkeit. Und es werden Verbindungen zur rechtsextremen Szene vermutet. Diensträume und die Wohnungen von vier Hauptbeschuldigten wurden bereits durchsucht. Derzeit würden elektronische Beweismittel wie die Handys der Beschuldigten ausgewertet, teilt eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft mit. Pikant an dem Vorfall ist, daß die Polizisten, die im November 2018 zu einer Fortbildung in Mecklenburg-Vorpommern weilten, das Schießtraining bei ihrem Vorgesetzten beantragt hatten, der Wunsch aber von diesem als zu teuer abgelehnt worden war. Offensichtlich entschlossen sich die Elitepolizisten daher, ihre Weiterbildung privat zu organisieren und die Kosten mit gestohlener Dienstmunition im Wert von 5.000 Euro zu begleichen. 

Wie 7.000 Patronen für Maschinenpistolen einfach verschwinden können, ist kein Rätsel. Die Einsatzkommandos verfügen über eigene Waffenkammern. Vermutlich waren die Polizisten, die die Munition beiseite brachten, gleichzeitig für die regelmäßige Kontrolle des Bestandes zuständig und deklarierten die Munition einfach als verschossen, sagte LKA-Chef Petric Kleine.

Brisant ist dabei noch etwas anderes: Betreiber des Güstrower Schießplatzes ist die Firma „Baltic Shooters“ von Frank T., einem zeitweiligen Mitglied des rechtsradikalen Netzwerkes „Nordkreuz“, in dem sich Extremisten auf den „Tag X“ vorbereiten. Erst als dieser ins Fadenkreuz norddeutscher Ermittler geriet, wurde im September 2020 das illegale Munitionsgeschäft der sächsischen Kollegen bekannt. Über einen privaten Waffenkauf bei T., der seit Jahren Spezialkräften der Bundeswehr, des Zolls und der Polizei das richtige Schießen beibringt, stolperte auch der CDU-Politiker Lorenz Caffier, der im Herbst 2020 deswegen als Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns zurücktrat. Caffier war jahrelang Schirmherr eines Workshops für Spezialkräfte auf dem Güstrower Schießstand gewesen.

Sie habe den Eindruck, daß sich „gleich eine ganze schwerbewaffnete Spezialeinheit verselbständigt hat“, meinte Kerstin Köditz, Innenexpertin der Linken im Sächsischen Landtag. Eine Kontrolle innerhalb des LKA habe es entweder nicht gegeben oder sie habe vollständig versagt. Der ohnehin seit Monaten unter Dauerbeschuß stehende sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) bescheinigt den beschuldigten Beamten „ein unfaßbares Maß an krimineller Energie“. Kurzerhand ließ er vier Polizisten suspendieren, 13 weitere strafversetzten und das betroffene Mobile Einsatzkommando auflösen, da „polizeiliche Standards auf das Schwerste verletzt“ worden seien. Immerhin verbleiben ihm vorerst drei weitere Spezialeinheiten.