© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Maaßen sorgt für Aufregung
Christian Vollradt

Sie ist ohne Zweifel ein Machtfaktor im Berliner Politikbetrieb: die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ihre Aufgabe sei es, so hatte es ein führender Christdemokrat bereits in den fünfziger Jahren einmal klargestellt, die Politik einer CDU-geführten Bundesregierung zu unterstützen und Angriffe auf diese abzuwehren. Daraus ergibt sich eine heikle Balance-Frage: Die Fraktion muß einerseits mächtig genug sein, der Aufgabe gerecht zu werden; andererseits nicht zu mächtig, damit sie nicht aus der dienenden in eine bestimmende Funktion wechselt. Im Klartext: Zuviel Selbstbewußtsein gegenüber der Regierung sollen die Abgeordneten also nicht entwickeln. Immer wieder wurde es in der Vergangenheit heikel: Etwa als 2016 CDU und CSU im Streit um die Migrations- und Asylpolitik lagen und ihre Abgeordneten getrennt voneinander tagten; oder als zwei Jahre später der getreue Merkel-Adlatus Volker Kauder nicht wieder-, sondern sein Herausforderer Ralph Brinkhaus zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde.

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum derzeit schon die theoretische Möglichkeit, es könnte nach der kommenden Bundestagswahl der eine oder andere etwas unbotmäßige Abgeordnete dazustoßen, für helle Aufregung sorgt. Zwei Namen von prominenten Kritikern des aktuellen CDU-Kurses fallen da: zum einen – natürlich – Friedrich Merz. Der zweimal knapp gescheiterte Fast-Parteivorsitzende bewirbt sich um seinen alten Wahlkreis im Sauerland. Die Kampfabstimmung gegen seinen Nachfolger und jetzigen Inhaber des Mandats, Patrick Sensburg, steht Ende nächster Woche an. Zum anderen seit dieser Woche Hans-Georg Maaßen. Der frühere Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ist von den Vorsitzenden dreier CDU-Kreisverbände im Süden Thüringens vorgeschlagen worden, für den Wahlkreis 196 zu kandidieren. 

„Irrsinn“, nannte der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete und Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, diese Idee. Aus seiner Sicht sei Maaßen „in Stil und Inhalt schon länger nicht mehr kompatibel mit der Christlich-Demokratischen Union“. Dabei scheinen die Kreischefs vor Ort durchaus rationale Gründe gehabt zu haben. Erstens könnte man mit einem Konservativen wie Maaßen die im Freistaat starke Konkurrenz von der AfD auf Abstand halten. Und zweitens wäre der unverbrauchte West-Import ein Zeichen des Neuanfangs – nach dem Skandal um den vorherigen Wahlkreis-Abgeordneten Mark Hauptmann (JF 12/21). Daß der ehemalige Spitzenbeamte, der gegenüber der JUNGEN FREIHEIT seine Bereitschaft zur Kandidatur bestätigte, antreten wird, findet auch positive Resonanz: Maaßen stehe für den „seit Jahren lahmgelegten wirtschaftsliberal-wertkonservativen Flügel“, lobte die sächsische Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann. Und Berlins früherer Innensenator Frank Henkel meinte angesichts der innerparteilichen Kritiker: „Wenn Hans-Georg Maaßen nicht mehr zur Union paßt, dann passe ich auch nicht mehr! Aber genau das ist der heutige Geist in der Union. Volkspartei war früher!“