© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Beginn eines langen Weges
EU-Rechtsfraktionen: Nach dem Austritt aus der EVP-Fraktion will Ungarns Premier die Karten in Brüssel neu mischen
Marco F. Gallina

Vor Ostern verkündete die europäische Rechte ihre Wiederauferstehung: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach von einer „Renaissance Europas“. Die Wurzel Europas müsse „rekonstruiert“ werden, ein „Wiederaufleben der Werte“ sei notwendig. 

Morawiecki war nicht allein. Er trat zusammen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem italienischen Lega-Vorsitzenden Matteo Salvini in Budapest vor die Kameras – im Hintergrund die Nationalflaggen. Die Veranstaltung erhielt damit offiziellen Charakter, obwohl Salvini derzeit kein Amt in der Regierung bekleidet.

Orbán würdigt Salvini als „Helden“

 Zwar gilt die Lega seit Mario Draghis Amtsantritt als Regierungspartei. Aber die Botschaft, die Orbán und Morawiecki setzten, war deutlicher: Warschau und Budapest erwarten, daß der Lombarde nach der nächsten Wahl zum dritten Ministerpräsidenten der Runde aufsteigt. Orbán hatte Salvini in seiner Zeit als Innenminister als „Helden“ gewürdigt.

Gastgeber Orbán war zugleich der eigentliche Begründer des Treffens. Seit dem Ausscheren seiner Fidesz aus der EVP-Fraktion werden die Karten in Brüssel neu gemischt. Die beiden europäischen Fraktionen rechts der Mitte, die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die Fraktion Identität und Demokratie (ID) werben um den profilierten Fidesz-Chef. Seit dem Brexit ist die EKR geschwächt, da ihnen die stimmenstarken Tories fehlen, die ID kämpft gegen ihren Paria-Status im EU-Parlament. Daß Orbán mit Morawiecki und Salvini die Vertreter der jeweils stärksten Parteien beider Fraktionen einlud, galt als Signal – kündigte sich die Gründung einer neuen Rechtsfraktion an?

Orbán betonte noch einmal, wieso er der EVP den Rücken gekehrt hat. Millionen Bürger hätten in Europa keine wahre Vertretung mehr, nachdem „die EVP beschlossen hat, Partei zu ergreifen, indem sie mit der Linken zusammenarbeitet“. Zu den Heimatlosen zählte Orbán dezidiert die Christdemokraten. Seine Vision: „Wir wollen die lächerliche politische Praktik beenden, wonach die Rechte nur extrem sein kann, die Linke aber immer in der Mitte steht.“ 

Eine Brücke zwischen den rechten Parteien bildeten Werte wie Familie, individuelle Würde und Christentum, sagte Morawiecki. Salvini betonte die Unfähigkeit der Brüsseler Elite im Zuge der Pandemie – und daß „danach“ tatsächlich vieles anders sein müsse, aber eben im konservativen Sinne. Dazu zählte der Lega-Chef die Wiederentdeckung der Freiheit und der Familie. Ein großer Fehler der EU sei die Verleugnung ihres christlichen Ursprungs gewesen.

Die Differenzen sind kein Geheimnis  

Der Hauch einer Paneuropa-Rechten lag in der Luft. Ein Hauch, nicht mehr: denn trotz Erklärung und Inszenierung ändert sich in der politischen Praxis nach dem Treffen nichts. Die Fraktionen bleiben im EU-Parlament bestehen. Vorerst. Orbán sprach vom Budapester Treffen als „Beginn eines langen Weges“. Die drei Partner bereiteten sich auf eine „große europäische Debatte“ vor. Ein weiteres Treffen soll im Mai erfolgen. Dann gibt Morawiecki den Gastgeber.

Dessen Europa-Fraktion, die EKR, stellte am selben Tag ein eigenes EU-Programm vor. Sichere Grenzen, souveräne Mitgliedsstaaten, weniger Bürokratie – auf den ersten Blick stellt sich die Frage, was EKR und ID scheidet. 

Doch die Differenzen sind kein Geheimnis. Die polnische PiS betont die atlantische Allianz und die Aversion gegen Rußland. Die Devise erhebt auch die EKR-Vision einer „Neuen Hoffnung“ für Europa zum Leitspruch. Orbán wie Salvini haben dagegen ein flexibles Verhältnis zu Rußland. Hermann Tertsch, der die spanische Partei Vox in der EKR vertritt, brachte es gegenüber der JF auf den Punkt: „Wir halten nichts von allzu großer Nähe oder Sympathie für Putin und sein Machtsystem in Rußland. Wir sind eine entschieden atlantisch ausgerichtete Partei.“

Hinzu kommen parteistrategische Erwägungen. Das beginnt bei den Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni, die in einer Fraktion mit Salvini marginalisiert werden könnte. Auch die PiS könnte sich durch Salvini herausgefordert sehen, denn die Stärke der Lega würde sie zur tonangebenden Partei in einer geeinten rechten Fraktion machen. Möglicherweise kommt es daher zu einem Kompromiß, um das Gleichgewicht zu wahren: als Fraktionsgemeinschaft oder konföderiertes Projekt. Orbán bleibt dabei der Motor der Entwicklung: für den Fidesz-Chef dürfte es unvorstellbar sein, daß seine Partei fraktions- und machtlos ihre Zeit im EU-Parlament absitzt.