© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Private Archegos-Holding löst kleines Wall-Street-Beben aus
20 Milliarden in zwei Tagen
Thomas Kirchner

Zehn Jahre Berufsverbot und eine hohe Millionenstrafe akzeptierte Sung Kook „Bill“ Hwang, als ihn die US-Börsenaufsicht SEC 2012 wegen Insiderhandels bei chinesischen Bankaktien anklagen wollte. Außergerichtliche Einigungen sind keine Seltenheit, selbst Unschuldige akzeptieren sie, denn in den USA drohen jahrzehntelange Haftstrafen. Der Sohn eines koreanischen Pastors mußte seinen Hedgefonds schließen, er konzentrierte sich auf sein Privatvermögen in seiner Holding Archegos. Bis vor wenigen Wochen war er damit überaus erfolgreich – es soll von 200 Millionen auf bis zu 20 Milliarden Dollar gestiegen sein.

Doch so eine Rendite geht nur mit Risiko. Hwang hat mit viel Hebel auf wenige Technologie- und Medienaktien gesetzt. Als ViacomCBS eine Aktienemission ankündigte, um dank des gestiegenen Kurses Kapital aufzunehmen, und der Kurs um neun Prozent einbrach, fielen Hwangs Dominos. Wie sich herausstellte, hatte er durch Derivate und Wertpapierkredite geschätzte 100 Milliarden Dollar investiert, das Fünf- bis Zehnfache seines Eigenkapitals. Wegen des ViacomCBS-Kursverfalls forderten Hwangs Makler ihn auf, wie üblich Eigenkapital nachzuschießen oder Aktien zu verkaufen. Doch Hwang wollte den Kursrückgang wohl aussitzen. Doch die Kurse fielen weiter, bis die Makler gezwungen waren, die Aktien zwangsweise zu liquidieren.

Was folgte, ähnelt dem Milliarden-Verlust der Société Générale von 2008, als die Geschäftsleitung die vom Händler Jérôme Kerviel unautorisiert aufgebaute Milliardenposition im Dax liquidieren ließ: der plötzliche Verkaufsdruck verstärkt den Kursrückgang und erhöht Verluste weiter. Die Erfahrung machten nun auch die Investmentbanken beim Verkauf der Aktien von Archegos: Während der Aktienmarkt insgesamt unspektakulär blieb, fielen Aktien wie Tencent Music oder Baidu, von denen die Makler Archegos Milliardenpositionen liquidierten, um zweistellige Prozente. ViacomCBS verlor sogar mehr als die Hälfte an Wert.

Offenbar waren die Verluste so hoch, daß innerhalb von zwei Tagen Hwangs Eigenkapital aufgezehrt war und die Makler Verluste von etwa zehn Milliarden Dollar verbuchen müssen. An vorderster Stelle stehen Crédit Suisse und die japanische Nomura, beide eher zweitrangige Akteure im Wertpapiergeschäft. Goldman Sachs oder JP Morgan unterhielten offenbar nur begrenzte Geschäftsbeziehungen zu Hwang. Aus der Politik kamen prompt Forderungen nach mehr Kontrolle. Doch das System funktionierte diesmal besser als bei Long Term Capital Management 1998, wo es ebenfalls um etwa 100 Milliarden Anlagesumme ging: die Makler, die Hwang exzessiv viel Hebel bei hoher Portfoliokonzentration einräumten, tragen die Konsequenzen. Die Verluste Einzelner sind hoch, doch niemand mußte diesmal vom Staat „gerettet“ werden.