© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Strohfeuer und Paketsteuer
Einzelhandel: 500-Euro-Gutschein soll Umsatz ankurbeln / Oder verändert Corona das Konsumverhalten?
Paul Leonhard

Was bleibt nach der Corona-Krise vom deutschen Einzelhandel? Nicht mehr viel, wenn Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE recht behält: „Sollten bis Ostern keine weiteren Öffnungsschritte erfolgen, droht ein wirtschaftlicher Totalschaden für Zehntausende Einzelhändler und viele Innenstädte.“ Die Infektionslage und das deutsche Impfversagen könnten tatsächlich die von Genth prognostizierten „Geisterstädte und leere Ladenlokale in ganz Deutschland“ bringen.

Zudem haben sich viele Kunden mit dem schmalen Angebot von Aldi, Kaufland, Rossmann & Co. arrangiert. Der Rest wird online bestellt und bis vor die Wohnungstür geliefert. Von dem gesparten Geld werden wohl in der „Post-Corona-Zeit“ eher die Biergärten und die Touristikbranche profitieren, wie die Mallorca-Flugbuchungen zeigten. Nach Berechnungen des Handelsinstituts IFH werden bis 2023 ein Fünftel der stationären Läden für immer schließen müssen – 80.000 Geschäfte.

Einen Neuanfang könnte es nur geben, wenn ein Erlebnis geboten wird, einschließlich Café-Besuch und Parken fürs Familienauto. Städte wie Dresden, regiert von einem FDP-Bürgermeister sind derweil dabei, auch den innerstädtischen Handel abzuwürgen, indem die Parkgebühren rasant steigen und gleichzeitig am Stadtrand neue Einkaufszentren genehmigt werden.

Wenn der HDE nun einen 500-Euro-Einkaufsgutschein für alle Bürger fordert, greift er eine Idee der Grünen vom April 2020 auf. Bundestagsabgeordnete um Anton Hofreiter und Katharina Dröge hatten damals einen „Kauf-vor-Ort-Gutschein“ von 250 Euro gefordert – als „sozial gerechte Alternative zu pauschalen Einkommenssteuersenkungen, wie FDP und Union sie fordern“.

Die Grünen-Idee hätte wohl über 20 Milliarden Euro gekostet – und das Geld wäre weitgehend versickert, weil die Kunden dorthin geströmt wären, wo sie ohnehin einen Teil ihres Lohns ausgeben würden, wenn ihnen das der Corona-Lockdown nicht verbieten würden: in die Lieblingsboutique oder die Stammkneipe. Daran würde sich wenig ändern, wenn der Gutschein nur in Einrichtungen eingesetzt werden dürfte, die coronabedingt schließen mußten, wie es Peter Bofinger mit seinen „Lockup-Vouchern“ vorschlug. Diese würden „nur“ 4,15 Milliarden Euro kosten, doch der Verwaltungsaufwand wäre groß. Der Ex-Wirtschaftsweise will den Voucher nach einem Zufallsverfahren zuteilen, damit der Andrang auf die Geschäfte nicht zu groß wird. Die Gültigkeit sollte zeitlich begrenzt werden, damit sich die „Nachfrage gleichmäßig über die verbleibenden Monate des Jahres verteilt“. Ob der Gutschein nur für heimische oder auch für Importgüter gilt, thematisierte Bofinger wohlweislich nicht.

500-Euro-Gutschein bringt 40 Milliarden Euro Umsatz

Dessen Fachkollege Jens Südekum hat sogar gefordert, „jedem europäischen Bürger, der nachweislich hart von der Krise getroffen wurde, dafür 5.000 Euro“ auszuzahlen. Daß diese Summe auf dem Balkan einen ganz anderen Wert hat, als in Nordeuropa, übersieht der Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor. Aber als SPD-Mitglied hätte er sich bei einer Differenzierung wohl Ärger bei seiner Parteichefin Saskia Esken eingehandelt.

Der 500-Euro-Gutschein würde laut HDE „einen Nachfrageimpuls von bis zu 40 Milliarden Euro“ auslösen – aber nur wenn er alsbald eingelöst würde. Denn die Bürger haben im Lockdown bereits eine „Überschußersparnis“ von 100 Milliarden Euro angehäuft, wie das Ifo-Institut in seiner aktuellen Konjunkturprognose darlegt. Und laut dem März-Bericht der Bundesbank stiegen die Bankeinlagen der privaten Haushalte binnen eines Jahres um 182 Milliarden auf 1,73 Billionen Euro.

Der Trend dürfte sich bis zum Pandemie-Ende fortsetzen. Am Geld dürfte es dann nicht liegen, wenn die Einzelhandelsumsätze dann nicht wieder anspringen. Interessant ist, daß die privaten Haushalte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2020 zusätzlich 11,6 Milliarden Euro für Nahrungsmittel und Getränke ausgegeben haben, darunter auch 800 Millionen Euro mehr für Alkohol – obwohl diese statt in der Gastronomie nur im Supermarktbezahlt wurden. Auch für Möbel, Teppiche, Heimtextilien oder Werkzeuge wurde im Pandemiejahr mehr Geld ausgegeben. Auch die Miet- und Kaufpreise für Immobilien sind weiter gestiegen.

HDE-Chef Genth hält seine Gutscheinidee dennoch für ein „deutliches Signal für einen Neubeginn nach der Corona-Krise“. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, sieht darin nur ein „Strohfeuer“. Er fordert eine nachhaltige Strategie für Läden und Gastronomie, damit die Innenstadtzentren wieder attraktiv werden. Doch flexible Ladenöffnungszeiten und einkaufsoffene Sonntage ziehen weiter rote Linien – und das nicht nur für Gewerkschaften und Kirchen. Denn wenn sich dabei nur die Verkaufskosten, aber nicht die Umsätze und Gewinne erhöhen, bringt das Ganze nichts.

Landsberg schlägt einen Milliarden-Fonds zur Förderung der Innenstädte vor, finanziert von einer Abgabe für Amazon, Otto & Co. Eine solche Paket-Steuer hat auch bei Union, SPD, AfD, Linken oder Grünen Befürworter. Aber mit Corona hat das nur bedingt zu tun: Der Zeitgeist-Philosoph Richard David Precht forderte schon 2019 im Handelsblatt „eine 25prozentige Steuer auf all den Kram, den wir tagein, tagaus online bestellen“. Diese Einnahmen sollten „den Kommunen für die Strukturentwicklung zur Verfügung gestellt werden“, denn „Onlineshoppen hat die urbane Kultur zerstört“.

Doch bei einer solchen prohibitiven – und EU-rechtswidrigen – Steuer wäre der Onlinehandel tot und Prechts erhoffter Steuerertrag null. „Fußgängerzonen voller qualifizierter Einzelhändler“ statt „Ramschboutiquen und Dönerbuden“ kommen damit sicher nicht zurück.

Initiative „Rettet unsere Läden“: www.rettet-unsere-laeden.de





US-Konjunkturspritzen als Vorbild

Der vom Handelsverband HDE geforderte 500-Euro-Einkaufsgutschein ist keine weltfremde Schnapsidee. Die USA haben in der Vergangenheit mehrfach versucht, in Krisen durch „Stimulus Checks“ den eingebrochenen Konsum anzukurbeln. Unter dem republikanischen Präsidenten George W. Bush gab es angesichts der Subprime-Krise 2008 einmalig 1.200 Dollar für Ehepaare, 600 Dollar für Singles sowie je 300 Dollar pro Kind. Unter dem demokratischen Nachfolger Barack Obama wurden in der Weltfinanzkrise 250-Dollar-Schecks für Sozialrentner und 800 Dollar für Ehepaare und 400 Dollar für Singles verschickt. Donald Trump ließ zu Beginn der Corona-Krise im März/April 2020 zunächst Schecks über 2.400 Dollar für Ehepaare, 1.200 Dollar für Singles sowie je 500 Dollar pro Kind versenden. Im Dezember gab es fast das gleiche nochmal, nur der Kinderzuschlag stieg auf je 600 Dollar. Joe Biden zeigte sich noch großzügiger: Im März gab es pro Kopf 1.400 Dollar aufs Konto. Da aber Steuererhöhungen unpopulär sind, läuft die US-Staatsverschuldung inzwischen auf 28 Billionen Dollar zu. (pl)