© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Die schwarz-grüne Gewinnmaximierung
Gesundheitsökonomie: Medizin als digitales Geschäfts- und Renditeobjekt / Droht letztlich das Ende der freiberuflichen Ärzte?
Ira Austenat

Eine Gesundheitspolitik abseits von „Corona“ ist derzeit kaum wahrnehmbar. Doch im stillen vollzieht sich ein tiefgreifender Wandel. Gesundheitsökonomen wie Reinhard Busse (TU Berlin) ordnen 800 bis 1.400 Akutkrankenhäuser in Deutschland als entbehrlich ein. Obwohl die drohende Bettenüberlastung als zentrales Argument für den Lockdown dient, wurden allein voriges Jahr weitere 14 Kliniken im ländlichen Raum geschlossen. 2019 waren es insgesamt 47 Kliniken, davon 19 jenseits der Großstädte.

Dabei zeichnen sich überraschende politische Synergien ab. Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm die strukturelle Umfinanzierung von Kliniken und den Umbau „auslastungsschwacher Einrichtungen“ zu lokalen Notfall- und Gesundheitszentren. Hinter diesem sperrigen Terminus verbergen sich kleinere Kliniken, die unrentabel, aber in ländlichen Regionen für Patienten unverzichtbar sind. Auf dem Höhepunkt der Corona-Fälle stellten diese Einrichtungen für Intensiv-Hospitäler eine wichtige Entlastung von Basisversorgungsaufgaben dar.

Laut dem früheren ärztlichen Direktor der Asklepios-Klinik Langen läßt sich eine höhere Covid-19-Sterblichkeit für Länder mit geringerer Bettenzahl belegen. Mit euphemistischen Namen wie Pflegepersonalstärkungsgesetz oder GKV-Versichertenentlastungsgesetz suggeriert CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn eine soziale Ader. Kuschelrhetorik findet sich bei den Grünen, wo künftig „alle Gesundheitsberufe auf Augenhöhe zusammenarbeiten“ sollen. Tatsächlich bedeutet beides: das Ende der ärztlichen Freiberuflichkeit und das Tor zur Industrialisierung der ambulanten Medizin zugunsten von Finanzinvestoren.

Der in der Corona-Pandemie überforderte Spahn führt dabei jenen Prozeß fort, der im rot-grünen GKV-Modernisierungsgesetz (GMG 2004) ins Rollen gebracht wurde: Als Betreiber der ambulanten Gesundheitsversorgung wurden neben Vertragsärzten auch Krankenhäuser, Heil- und Hilfsmittelerbringer, Rehazentren, Apotheker oder Dialysedienstleister zugelassen.

Private-Equity-Fonds als übermächtige Konkurrenz

Es entstanden Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Zwar schränkte der Gesetzgeber 2012 im schwarz-gelbem GKV-Versorgungsstrukturgesetz den Kreis möglicher MVZ-Gründer ein, doch geschlossen wurde das Tor für Kapitalanleger in die ambulante Versorgung nicht. Eine Studie des Instituts für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen zeigt, daß zwischen 2013 und 2018 Fremdkapitalgeber 125 Versorgungseinrichtungen (27 Kliniken, 31 MVZ und 48 Pflegeunternehmen mit insgesamt fast 66.000 Beschäftigten) betrieben, wobei drei Viertel der aktiven Investoren ihren rechtlichen Sitz in Offshore-Standorten hätten. Zur Größenordnung: 2017 flossen in die ambulante Versorgung 79 Milliarden Euro – angesichts einer älter werdenden Bevölkerung ein Wachstumsmarkt.

Private-Equity-Fonds kaufen kleine Krankenhäuser und MVZ auf, vergrößern sie durch Zukauf von Arztsitzen, wobei Kaufpreise aufgerufen werden, die Nachwuchsmediziner aus dem Rennen drängen. Waren es zunächst die technik­intensive Labormedizin und Dialyse, sind es nun Radiologie, Augenheilkunde oder Dermatologie. 2017 betrug die Zahl der MVZ laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung 2.821, davon waren 1.163 Krankenhaus-MVZ. Für Erwin Rüddel (CDU), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag, sind die Eigentumsverhältnisse gleichgültig, solange Versorgungssicherheit und Patientenzufriedenheit gegeben seien. Angesichts der Masken-Affäre der Union eine interessante Aussage.

Da es keinerlei Verpflichtungen zur Evaluation der Patientenzufriedenheit oder Versorgungssicherheit durch die betreffenden MVZ gibt, dürfte das Private-Equity-Geschäftsmodell, die Gewinnmaximierung, insbesondere für kostenintensive multimorbide Patienten zur Nagelprobe werden. Ein Blick nach England bestätigt diese Sorge: Eine MVZ-Kette wird drei bis fünf Jahre aufgebaut und dann gewinnbringend verkauft. Die Insolvenz einer solchen MVZ-Kette hinterließ dort unlängst eine sechsstellige Zahl nicht mehr versorgter Patienten zurück.

Und ist eine freie Berufsausübung durch den Arzt bei steigendem Kostendruck angesichts dessen überhaupt noch umsetzbar? Kirsten Kappert-Gonther, seit 2017 für die Grünen im Gesundheitsausschuß, ist bemüht, die Gefahren ihres Wahlprogramms zu entschärfen: „Der Zugang zu guter Gesundheit“ dürfe „nicht zum Spielball privater Kapitalgruppen werden“, findet die Bremer Psychotherapeutin. „Man müsse Renditeinteressen eine Absage erteilen.“ Aber wie? Das sagt sie nicht. Jessica Hanneken von der Apotheker- und Ärztebank bestätigt, daß das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 die Entwicklung auch in der Zahnmedizin nachdrücklich ins Rollen brachte. Spahns Digitalisierungsprogramm im Projekt Telematikinfrastruktur (Gematik) fördert zudem die Speicherung sensibler Patientendaten auf privaten Servern als Geschäftsmodell.

Laut dem Verband Freie Ärzteschaft zahlen die gesetzlichen Kassen für eine Adipositas-App für 900 Tage 500 Euro. Das sei mehr, als ein Versicherter für die gesamte ambulante Medizin inklusive Technik- und Laborleistungen jährlich im Schnitt verursache. Ärzte, die den Telematikanschluß verweigern, werden seit 2020 mit Strafzahlungen belastet. Eine Studie, ob der betagte Patient sich durch eine industrialisierte digitale Plattform-Medizin wirklich als Versicherter „gestärkt“ oder das Pflegepersonal sich „entlastet“ fühlt, wie die Gesetzesnamen es verheißen, wurde von Jens Spahn bislang nicht aufgelegt.

 www.gematik.de

 freie-aerzteschaft.de