© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

„Nur eine Tafel aufstellen bringt nichts“
Deutsche Kolonialgeschichte: Ein Mausoleum im Brandenburgischen erhitzt nach über hundert Jahren plötzlich Berliner Gemüter
Curd-Torsten Weick

Der Berliner flieht gern einmal aus dem Moloch Berlin. Doch wohin, wenn man einmal ohne Maske seine Ruhe haben will?  Der Wilmersdorfer Waldfriedhof in Güterfelde nahe Stahnsdorf  (Landkreis Potsdam-Mittelmark) ist so ein Ziel. Auf der 1909 bis1913 entstandenen Anlage, die noch zum Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gehört, finden sich zwischen den Büschen teils verfallene Gräber aus den dreißiger und vierziger Jahren. 

Darunter auch an exponierter Stelle das Urnengrab mit Gedenkstele des 1936 verstorbenen Schauspielers Max Schreck, der als Graf Orlok in Friedrich Murnaus „Nosferatu“ (1922) zur Ikone des Horrorfilms wurde. Neben der ungewöhnlich großen Kapelle findet sich eine Grabanlage mit Soldatengräbern aus dem Ersten Weltkrieg. 

„Eine Ruhestätte in märkischer Erde“

Schräg gegenüber sticht dann ein imposantes Mausoleum ins Auge. Über dem schweren gußeisernen Eingangstor steht der Name Kurt Hoffmann. Kurt Hoffmann? Der Friedenauer Lokal-Anzeiger vom 3. September 1915 gibt Auskunft: „Eine Ruhestätte in märkischer Erde unter Bäumen wünschte sich ein Offizier, Baurat Hoffmann aus Wilmersdorf, der kürzlich auf dem Felde der Ehre den Heldentod für das Vaterland starb. Die sehr vermögende Gattin des Verstorbenen bemühte sich zunächst um einen Begräbnisplatz auf dem Friedhof der Synode in Stahnsdorf, fand aber bei der dortigen Friedhofsverwaltung nicht das erwartete Entgegenkommen.“

Laut dem Lokalanzeiger wandte sich Frieda Marie Hoffmann (1858–1940) daraufhin an den Gemeindevorstand um Überlassung einer Grabstätte auf dem Waldfriedhof in Gütergotz (Güterfelde). Die Verhandlungen seien danach zum Abschluß gelangt. In der Folge erwarb die Witwe auf dem Waldfriedhof einen Begräbnisplatz zur Errichtung eines Mausoleums für ihren Mann. Sie bezahlte die Kosten für den Platz in Höhe von 16.000 Mark in zwei Raten.

Nach Angaben des Fördervereins „Hans-Altmann-Park in Stahnsdorf“, der sich um den Erhalt des Wilmersdorfer Waldfriedhofs in Güterfelde kümmert, schenkte die Witwe zur langfristigen Unterhaltung des Mausoleums der Gemeinde ein Haus in Stahnsdorf. Diese habe sich im Gegenzug zur Pflege und Instandhaltung während der folgenden 150 Jahre verpflichtet. Laut Förderverein haben sich im Mausoleum zahlreiche Gegenstände wie Büsten und Wandgemälde mit Szenen der Familiengeschichte in Schlesien und der deutschen Kolonie Ostafrika erhalten. Um nahe beim Grab zu sein, sei die Witwe Frieda Marie nach Stahnsdorf gezogen und täglich zu Andacht und Gebet ins Mausoleum gekommen, das seit 2003 unter Denkmalschutz steht. Im Innenraum befindet sich die Grabplatte von Kurt und Frieda Hoffmann. 

„Sehr vermögend“? Kurt Hoffmann (1853–1915) war nach Angaben des Fördervereins das einzig überlebende von fünf Kindern des Ringofen-Erfinders Friedrich Hoffmann (1818–1900). Der Königliche Baumeister trat vor allem als Erfinder hervor (einer pneumatischen Mühle oder eines hydraulischen Baggers). 17 Jahre lang beschäftigte sich Hoffmann mit der Verbesserung der Ziegelbrennerei und gelangte 1857 zu einer brauchbaren Konstruktion, dem Ringbrennofen. Mit dieser Erfindung gelang ihm eine bahnbrechende wissenschaftliche und technische Leistung, für die er 1867 auf der Weltausstellung in Paris den Grand Prix erhielt. 

Friedrich Hoffmann besaß zudem in Deutsch-Ostafrika nahe Pangani, einer Kleinstadt an der tansanischen Küste, die sogenannte Friedrich-Hoffmann-Plantage, auf der Kaffee und Tabak angebaut wurden. Sein Sohn, Regierungsbaumeister Kurt Hoffmann, trat auch dort in die Fußstapfen seines Vaters. 

Sohn des Ringofen-Erfinders  Friedrich Hoffmann

Bereits 1889 hatte Hoffmann eine Denkschrift „Über die Wichtigkeit des Somalilandes“ verfaßt und begonnen, für die dauernde Erwerbung desselben „Propaganda zu machen“ („Deutsche Männer in Afrika, Conrad Weidmann, 1894“). Doch die Italiener hatten bereits  im Sommer 1889 Teile davon unter Protektorat gestellt, bald darauf hatten die Engländer die Somalistädte des Sultans von Sansibar erworben. 

Aufgrund dessen wurde Hoffmanns aus eigenen Mitteln am 10. Oktober 1889 „trefflich ausgerüstete Expedition“ von den Engländern entwaffnet. Am 25. Februar 1890 kehrte Hoffmann nach Deutsch-Ostafrika zurück und kaufte 1896 von der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft 20.000 Hektar. Nach Angaben des Deutschen Kolonial-Lexikons baute Hoffmann dort ebenfalls im Bezirk Pangani hauptsächlich Kautschuk und Sisal an. 1893 hatte der deutsche Botaniker Richard Hindorf Sisal aus Florida in Tansania eingeführt. 

„Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Kolonie von britischen, indischen und belgischen Truppen in Kämpfe verwickelt, gegen die die deutsche Schutztruppe wenig auszurichten hatte. Kurt Hoffmann verkaufte seine afrikanischen Besitzungen und meldete sich im Alter von 61 Jahren 1914 freiwillig zum Kriegsdienst“, schreiben Peter Hahn und Jürgen Stich auf ihrem Rechercheblog Friedenau-Aktuell.

Innerhalb von mehr als 100 Jahren geriet Kurt Hoffmann in Vergessenheit. Doch im Rahmen der „Aktionswochen gegen Rassismus“ in Charlottenburg-Wilmersdorf besann sich die dortige „Stabsstelle Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (SBNE) auf ihn. „Unter dem Motto: „Wer war Kurt Hoffmann? – Auf postkolonialer Spurensuche in Charlottenburg-Wilmersdorf“ veranstaltete die SBNE auf Facebook eine Online-Dialogveranstaltung. 

Dort zeigte sich Oliver Schruoffeneger, Bezirksstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf, entsetzt. „Es ist absurd, daß wir die Existenz des ehrenden Monuments auf unserem Friedhof 60 Jahre nicht wahrgenommen haben“, erklärte der Grünen-Politiker. Nur ein „zufälliger Artikel in einem Anzeigenblatt, in dem es darum gegangen sei, daß bei Stahnsdorf ein schönes Mausoleum stehe, sei nicht genug.

Bereits vorher hatte die Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, Anke Kuß, versucht aufzuklären, wer Kurt Hoffmann war. Sie zeigte sich „überrascht“, daß so wenig über Hoffmann, den „Sohn eines Zementfabrikanten“, im Internet stehe. Er habe eine 30.000 Hektar große Plantage in Ostafrika gehabt, sei „begeisterter Anhänger von Kolonien“ gewesen und habe „kolonialismushuldigende Gedichte und das Carl-Peters-Loblied“ geschrieben – eines der „grausigsten Kolonialherren, die wir kennen“. „Spannendes“ gebe es nicht über ihn zu finden, so Kuß.

„Was ist ein kolonialer Ort? Nicht einfach zu klären“, fragte Heike Hartmann und legte die Finger auf die Wunde. „Nur eine Tafel aufstellen“, betonte die Leiterin des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim, reiche nicht. Kurt Hoffmann sei „sicher zu seinen Lebzeiten recht engagiert“ in der Kolonialbewegung gewesen. Doch habe er dort „sehr unerfolgreich“ agiert: „Alles ist gescheitert.“ Dennoch sollte man „über diesen Ort konkret nachdenken“. Der Verbund der Berliner Bezirksmuseen werde die Erinnerungen an den deutschen Kolonialismus wachhalten. 

Stadrat will antikoloniale Offensive starten

Vor diesem Hintergrund lobte sie die Kooperation mit dem Mitbegründer von Berlin Postkolonial und Vorstandsmitglied bei Decolonize Berlin, Mnyaka Sururu Mboro. Er sowie Sacks Stuurmann (Antidiskriminierungsberater beim Bund für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit) gingen nicht auf Hoffmann ein. Mboro geißelte die „Kolonialverbrecher“. Schon 1984 habe er gefordert, die Petersallee im Afrikanischen Viertel umzubenennen. „Bis heute sei nichts geschehen“, so der Tansanier. Das gleiche gelte für den Nachtigalplatz. Mboro vergaß nicht, sich bei den Grünen für die Umbenennung des Kreuzberger Groebenufers in May-Ayim-Ufer zu bedanken. 

„Wir müssen Bewußtsein“ schaffen sowie Netzwerke erweitern betonte

Stuurmann, und alle Diskutanten schlossen sich an. „Eine erklärende Tafel“ in Stahnsdorf, wo sowieso keiner vorbeikomme, mache wenig Sinn, betonte Schruoffeneger und unterstrich die Zielsetzung: „Wie die Mehrheitsgesellschaft erreichen. Öffentliche Räume sind sehr wichtig. Wir werden den Hardenbergplatz ganz massiv umgestalten, der im Kontext mit der Örtlichkeit des Zoos steht.“ 

Auch die Bismarckstraße und das Vorfeld vom Charlottenburger Schloß könne man für antikoloniale Zwecke  nutzen. „Wir dürfen uns nicht kleinmachen. Kurt Hoffmann in allen Ehren, im Prinzip eine gescheiterte Existenz, sicherlich kein Mensch, den man positiv in Erinnerung haben muß“, so das Fazit des Grünen.

Foto: Mausoleum des Baurats und Offiziers Kurt Hoffmann bei Stahnsdorf: Das antikoloniale Charlottenburg-Wilmersdorf ist plötzlich entsetzt (o.)