© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Übersetzen in Stahlgewittern globalisierter Kulturkämpfe
Sprachliche Fallen der Kolonisierung
(dg)

Übersetzer arbeiten in der Regel unbeachtet in den Katakomben des Literaturbetriebs. Welcher politische Sprengstoff aber auch in ihrem Gewerbe stecken kann, bewies jüngst die hitzige Debatte, die das Poem auslöste, das die schwarze US-Lyrikerin Amanda Gorman bei der Inaugurationsfeier für den neuen US-Präsidenten Joe Biden vorgetragen hatte. In den Niederlanden und in Spanien gaben Übersetzer ihren Auftrag zurück, weil sie vor „antirassistischen“ Sektierern kapitulieren mußten, die öffentlichen Druck mit der lupenrein rassistischen Botschaft erzeugt hatten, Literatur von Schwarzen dürfe nur von Schwarzen übersetzt werden. Diesseits solcher Absurditäten scheint in Zeiten eskalierender Kulturkämpfe jedoch auch das Alltagsgeschäft des Übersetzens zunehmend einem Tasten durchs Minenfeld der postkolonialen Political Correctness zu ähneln. Ein Befund, den der Werkstattbericht Claudia Hamms bestätigt, den sie zu ihrer Übersetzung eines französischen Dokumentar-Romans des pseudonymen Autors Joseph Andras erstattet (Merkur, 2/2021). Thema mit Variationen ist Frankreichs Kolonialismus, der 1853 auch auf eine „Neukaledonien“ getaufte und lange als Strafkolonie genutzte Pazifikinsel zugriff. Andras’ Text habe sie mit der Kultur der neukaledonischen „Kanak“ in Berührung gebracht, einem Volk, das dem westlichen Individualismus und seinen ökonomischen Imperativen trotze und dessen komplexes System an sozialen Praktiken mitsamt einer fremdartigen kollektiven Psyche ihr jede Menge Übersetzungsprobleme beschert habe. Nur mit großer Mühe sei es ihr dabei gelungen, den zahllosen „sprachlichen Fallen der Kolonisierung“ zu entkommen. 


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