© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Die weiße Kultur überwinden
Britische Universitäten im antikolonialen Rausch: Westliche Philosophen und klassische Komponisten wie Mozart und Beethoven sollen als Vertreter einer „rassistischen, kolonialen“ Kultur weichen
Julian Schneider

An der Musik-Fakultät der Universität Oxford wird zuviel „weiße europäische Musik aus der Epoche der Sklaverei“ gelehrt. Interne Dokumente zeigen, daß sich Professoren und Dozenten darum sorgen, wie die „weiße Hegemonie“ überwunden werden kann. Damit ist der Schwerpunkt auf klassische europäische Komponisten wie Mozart, Haydn oder Beethoven gemeint. Das in Oxford gelehrte Repertoire sei „strukturell zentriert um weiße europäische Musik“, was farbigen Studenten „großes Leid“ bereite. Einige Fakultätsmitglieder fürchten, der Lehrplan mache sich „mitschuldig an der weißen Suprematie“. Auch die westliche Notenschrift wird kritisch gesehen, denn sie sei ein „kolonialistisches Repräsentationssystem“. Die Notation zu lehren, die „ihre Verbindung mit der kolonialen Vergangenheit“ nicht abgelegt habe, sei „ein Schlag ins Gesicht“ für nichtweiße Studierende.

Mehr Hiphop oder Jazz soll auf den Lehrplan

Die „fast komplett weiße Fakultät“ privilegiere „weiße“ Musik, monierten die kritischen Professoren bei einer Diskussionsrunde laut Dokumenten, aus denen der Sunday Telegraph zitiert hat. Es fehle an Diversität im Musikstudium in Oxford. Gefordert wird etwa, mehr Hiphop oder Jazz zu lehren und in „nicht-eurozentrisches“ Curriculum zu entwickeln. Mehr „schwarze“, außereuropäische Musik, vor allem von Afrikanern und der afrikanischen Diaspora, soll auf den Lehrplan. Klavierspielen, Komposition und Dirigieren seien nicht mehr so wichtig. Einige Professoren wandten jedoch ein, daß diese Bestrebungen letztlich zu Lasten der klassischen Musik aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert gehen, in der westlich-europäische Musik die Hochkultur dominiert hat.

Genau darum scheint es aber zu gehen: die Überwindung der europäischen (Hoch-)Kultur. Vor zwei Jahren erregte die gemeinnützige Organisation Youth Music landesweit Aufsehen mit der „dringenden Forderung“, in den nationalen Lehrplan für Schulen statt Mozart den schwarzen Rapper Stormzy (bekanntester Song: „Shut up!“) zu nehmen. Damit werde der Unterricht „inklusiver“. Zu diesem Schluß kam Youth Music nach einem vierjährigen Forschungsprojekt zusammen mit der Birmingham City University.

Die westliche Zivilisation scheint in eine Phase der Autoaggression und Autodenunziation getreten zu sein. Sogenannte progressive Kräfte polemisieren verbissen gegen die „weiße Vorherrschafft“. Der neueste Vorstoß in Oxford ist nur ein Beispiel von vielen. Schulen, Universitäten und Museen sollen „entkolonialisiert“ werden, so die Forderung, die besonders an britischen Hochschulen, aber zunehmend auch von Aktivisten in Deutschland erhoben wird. Konkret heißt das, daß „weiße“ Lehrinhalte gestrichen und durch außereuropäische ersetzt werden sollen. Das trifft dann auch große weiße Philosophen von der Antike bis zur Aufklärung.

An einer bekannten, radikal links politisierten Londoner Universität, der School of African and Oriental Studies (Soas), drängen Aktivisten und einige Akademiker schon seit Jahren darauf, daß mindestens 50 Prozent der Philosophen und Denker auf dem Lehrplan aus Afrika oder Asien stammen müßten. Platon, Aristoteles, Kant oder Montesquieu gelten den Aktivisten von „Decolonize the curriculum“ als Vertreter und Vordenker einer rassistischen und kolonialistischen westlichen Kultur, die wenn überhaupt nur äußert kritisch betrachtet werden dürften. An der Universität Edinburgh hatte eine Studentenpetition vor wenigen Monaten Erfolg damit, den Aufklärungsphilosophen David Hume als Namensgeber eines Hochhauses zu löschen, weil Hume Rassist gewesen sei und in einem Brief seinem Gönner zum Kauf einer karibischen Plantage mit Sklaven geraten hatte.

Rückenwind haben die Aktivisten durch die „Black Lives Matter“-Bewegung bekommen. Laut einer neueren Umfrage unter britischen Universitäten haben sich schon ein Fünftel der Hochschulen dazu verpflichtet, ihre Lehrpläne zu „entkolonisieren“. 24 von 128 Unis – für Fope Olaleye, die Black Student Officer der Nationalen Studentenunion, sind es „schockierend“ wenige. Andere finden schockierend, daß sich schon ein Fünftel der Universitätsleitungen den ideologischen Prämissen der Decolonize-Bewegung angeschlossen haben.

Dem Motto der Modernisierung und größeren Diversität fallen auch wichtige Zeugnisse der europäischen Literatur zum Opfer. So beschloß die Universität Leicester kürzlich, im Englischstudium den herausragenden mittelalterlichen Dichter Chaucer, den Autor der „Canterbury Tales“, sowie das altenglische Beowulf-Heldenepos vom Lehrplan zu streichen. Nach heftiger Kritik erklärte ein Sprecher der Uni, daß die Lektürelisten von weißen Autoren dominiert würden und dies „viele große BAME-Gelehrte“ ignorieren würde (das Akronym BAME steht in Britannien für „Black, Asian, Minority Ethnic“). Schwarze Studenten könnten sich nicht mit den Lehrinhalten identifizieren. Statt Chaucer soll es Kurse über die Themen Rasse und Diversität geben. Aus Protest gegen die Entscheidung, Chaucer zu streichen, gab die emeritierte Literaturwissenschaftlerin Isobel Armstrong ihre Ehrendoktorwürde der Uni Leicester zurück.

Kritik von konservativen Abgeordneten

Die Meldung über den Angriff auf die „weiße Musik-Vorherrschaft“ an der Universität Oxford hat nun ebenfalls einigen Aufruhr und wütende Kritik von konservativen Abgeordneten ausgelöst. Der Sunday Telegraph und besonders die Daily Mail verwendeten zugespitzte Überschriften. So wurde in der Daily Mail der Eindruck erweckt, daß erwogen werde, die Notenschrift abzuschaffen, weil sie „kolonialistisch“ sei. Auf Nachfrage dementiert ein Universitätssprecher das. Was er aber bestätigt, sind „aufregende neue Elemente im Lehrplan“, die im Sommer bekannt gemacht würden. Er kündigte mehr nicht-westliche Musik und Pop-Musik aus der ganzen Welt an, die in den ehrwürdigen Hallen der ältesten Universität Großbritanniens künftig erklingen soll.

„Decolonize the curriculum“ bezieht sich auf die „Diversitäts-“ und auf die „Critical Race Theory“-Ideologie. In der verschärften Form beinhaltet diese linke Kritische Rassentheorie einen nur wenig verhüllten rassistischen Kampf gegen alles „Weiße“, das nur noch unter Vorbehalt gelehrt werden darf. Sie unterstellt allen Weißen eine letztlich ererbte Schuld, Sündhaftigkeit und Privilegierung, von der man sich nur dadurch reinigen kann, indem man das Erbe der westlichen Kultur verwirft. Weiße sind schuld an allem Elend der Welt, an Armut, Ausbeutung, Diskriminierung etc.

Daß es ebenso extrem diskriminierende, suprematistische nicht-weiße Kulturen gab und gibt, daß Sklaverei und Kolonialismus keineswegs nur von westlichen Nationen praktiziert wurden, daß die krassesten und chronischen Verstöße gegen Gleichheit und Menschenrechte heute in nicht-westlichen, vor allem in islamisch geprägten Kulturkreisen vorkommen, wird von den Anhängern der Kritischen Rassentheorie ausgeblendet.

Die Regierung von Boris Johnson bemüht sich derweil um eine gefestigte Abwehrhaltung im von Links angeheizten Kulturkampf. Als die schwarze Labour-Abgeordnete Dawn Butler im Parlament jüngst abermals forderte, die britische Geschichte müsse entkolonialisiert werden, setzte die ebenfalls schwarze Ministerin für Gleichheit, Kemi Badenoch, deren Eltern aus Ghana stammen, zu einer furiosen Erwiderung an: Es sei eine gefährliche Entwicklung, daß Kinder an Schulen zunehmend gesagt wird, es gebe weiße Privilegien und eine ererbte weiße Schuld. „Ich möchte es absolut klarmachen: Diese Regierung steht gegen die Kritische Rassentheorie“, wetterte die junge Tory-Politikerin Badenoch. Sie wolle nicht wegen ihrer schwarzen Hautfarbe zum Opfer stilisiert werden, „Whiteness“ stehe nicht generell für Unterdrückung.

Tonangebend an den Universitäten sind aber andere Stimmen, die immer stärker Druck ausüben, die Lehrpläne zu „dekolonisieren“ und zu „diversifizieren“, was nichts anderes meint als zu enteuropäisieren.