© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Lesen, schreiben, beten
Konservatives Denken: Zum Gedenken an den vor zehn Jahren verstorbenen Universalgelehrten und Publizisten Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Gdeorg Alois Oblinger

Konservativ war er immer. Gerd-Klaus Kaltenbrunner hat in den 72 Jahren seines Erdenlebens zwar unterschiedliche biographische Entwicklungsphasen durchlaufen, doch sie bedeuteten keine Abbrüche; vielmehr hat der Intellektuelle und Universalgelehrte seine Standpunkte und Überzeugungen jeweils vertieft. 1939 in Wien geboren, war er zunächst Jurastudent in seiner Heimatstadt, dann Verlagslektor in Deutschland, anschließend Schriftsteller und Herausgeber einer einflußreichen Taschenbuchreihe, zugleich intellektueller Vordenker des Konservatismus und begehrter Interviewpartner, später eher Philosoph und Mystiker, der sich ausschließlich religiösen Themen widmete, und schließlich in seinen letzten Lebensjahren der schweigsame Leser und betende Gläubige, der am Rande des Schwarzwalds ein zurückgezogenes Leben fern der Medien führte.

Schon in seiner Studentenzeit beschäftigte sich Kaltenbrunner mit philosophischen, geistesgeschichtlichen und literarischen Themen. Als Achtzehnjähriger schrieb er seinen ersten Essay. Später sollte er als Meister dieser Gattung mehrfach ausgezeichnet werden. 1962 kam er nach Deutschland und fand Anstellung als Lektor für die Verlage Luchterhand und Rombach, die er versuchte, konservativ auszurichten. Sein Hobby, das Lesen, machte er hier zum Beruf. Bereits 1970 schrieb er: „Es bedarf der Förderung der konservativen Sache in der Publizistik, des Einbruchs konservativer Zeitschriften in die Gruppe der meinungsbildenden Publikationsorgane, der Veranstaltung konservativer Tagungen, Seminare und Kongresse, der Errichtung konservativer Akademien und Bibliotheken.“

Sein Denken gipfelte im katholischen Glauben

Es folgten in den Jahren 1970 bis 1975 seine umfangreichen geistesgeschichtlichen Werke „Hegel und die Folgen“, „Rekonstruktion des Konservatismus“, „Konservatismus international“ und „Der schwierige Konservatismus“. Von 1974 bis 1988 gab er die insgesamt 75 Taschenbücher der Herderbücherei Initiative heraus, die er jeweils konzipierte und mit einem einleitenden Essay versah. In dieser Zeit publizierte er in Zeitungen wie Welt, FAZ, Zeit und Rheinischer Merkur, aber ebenso in Zeitschriften wie Zeitbühne, Criticón, Epoche und Mut, später auch in der JUNGEN FREIHEIT. Daß einige dieser Publikationen nicht im Mainstream lagen, konnte Kaltenbrunner nicht abschrecken. Hier propagierte er eine „Tendenzwende“, welche den gesellschaftlichen Linkstrend aufhalten sollte.

Kaltenbrunner, der von der paneuropäischen Idee des Richard Graf Coudenhove-Kalergi beeinflußt war, schrieb auch zahlreiche Essays über die geistigen Quellen Europas. So erschienen von ihm zwei Trilogien unter den Titeln „Europa“ (Verlag Glock & Lutz) sowie „Vom Geist Europas“ (Mut-Verlag). Er würdigte geistes- und kulturgeschichtliche Strömungen und versuchte stets, bedeutende Schriftsteller und deren Werke vor dem Vergessen zu bewahren.

Dann kam jenes Ereignis, das für sein weiteres Publizieren entscheidend werden sollte: Er geht am Nachmittag im Garten seines Hauses in Kandern spazieren, als ihm plötzlich die Gegenwart Gottes bewußt wird. Dabei stellt er fest, daß er den genauen Wortlaut des Vaterunser nicht mehr weiß. Zwar hat er das Christentum als Grundlage unserer abendländischen Kultur immer verteidigt, doch hat er seinen Glauben nicht wirklich praktiziert. Jetzt ruft er sich den Glauben seiner Kindheit wieder in Erinnerung, vertieft diesen, beginnt zu beten und schreibt von jetzt an Bücher und Essays über Heilige und Glaubensthemen.

Wie all sein Denken und Schreiben im katholischen Glauben gipfelt, so ist er auch der Überzeugung, daß die gesamte Geistesgeschichte auf Jesus Christus und seine Kirche zuläuft. Diesem hohen Anspruch versuchen die Darlegungen in seinen beiden letzten, äußerst umfangreichen Büchern „Johannes ist sein Name“ (1993) und „Dionysius vom Areopag“ (1996) gerecht zu werden.

Bald darauf hört er auf zu schreiben. Er nimmt sich Zeit und betet täglich das Breviergebet katholischer Ordensleute. Aber auch die Volksfrömmigkeit, besonders die der Barockzeit, hat es ihm angetan. So verehrt er die „sieben Zufluchten“: die heiligste Dreifaltigkeit, das Kreuz, die Eucharistie, die Gottesmutter Maria, die Engel, die Heiligen und die Armen Seelen. Diese „sieben Zufluchten“ finden sich später auch auf der Vorderseite seines Sterbebildchens. In seinem Garten läßt er eine Kapelle bauen und verbringt sehr viel Zeit mit Lesen. Vor allem begeistert er sich für den deutschen Lyriker und Mystiker Angelus Silesius und den weitgehend vergessenen Schriftsteller Ludwig Derleth. Letzterer lebte teilweise in Kaltenbrunners Heimatstadt und hat wie er ein geistesgeschichtlich-religiöses Panorama dargelegt in seinem fünfbändigen Werk „Der fränkische Koran“ (1932).

Mit der zeitgenössischen Kirche in Deutschland tut Kaltenbrunner sich lange Zeit schwer. Vor allem liebt er die heilige Messe in ihrem klassischen Ritus. Erst als Benedikt XVI. Papst wird, kann sich Kaltenbrunner langsam wieder der heutigen Kirche annähern. Vor allem die Antritts-Enzyklika des deutschen Papstes „Deus caritas est“ (2005) ist für Kaltenbrunner ein ganz großer Wurf mit vielen wertvollen Gedanken.

Am 12. April 2011 ereilt ihn nach dem Mittagessen ganz plötzlich der Tod. Er kann noch ins Krankenhaus nach Lörrach gebracht werden; die Reanimationsmaßnahmen zeigen jedoch keinen Erfolg. Gerd-Klaus Kaltenbrunner wird, versehen mit den Sakramenten der heiligen Kirche, vom Verfasser dieser Zeilen auf dem Friedhof in Kandern-Sitzenkirch beigesetzt. Später erfolgte die Überführung in das Familiengrab in Perchtoldsdorf bei Wien.

Im Fragebogen der jungen freiheit hat Gerd-Klaus Kaltenbrunner 2007 auf die Frage, welche Bedeutung der Tod für ihn habe, geantwortet: „Höchstpersönlicher Weltuntergang, intimste Apokalypse, Voll-Endung“. Der konservative Ideenhistoriker, der durch sein Denken zum katholischen Glauben fand, hat vor zehn Jahren bei Gott seine Vollendung gefunden.






Georg Alois Oblinger ist Priester im Bistum Augsburg.