© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Starker Zuschnitt, aber oft schwache Darstellung
Albrecht Rothacher hat eine kritische Analyse des französischen Präsidialsystems seit Charles de Gaulle vorgelegt
Marcel Waschek

Als Charles de Gaulle, Held der Befreiung Frankreichs von 1944, am 1. Juni 1957 zum Premierminister ernannt wurde, besiegelte dies das Ende der seit 1944 bestehenden IV. Republik. Vorausgegangen war dem ein Militärputsch im bürgerkriegsgebeutelten, noch zum französischen Mutterland gehörenden Algerien. 

Die Putschisten, welche sich durch die Regierung in Paris verraten sahen, hofften, durch ihr Aufbegehren auf das Schicksal der algerischen Franzosen hinzuweisen und ein Umdenken herbeizuführen. De Gaulle hatte seit seinem Rücktritt vom ersten Amt als französischer Präsident im Januar 1946 auf die Stunde der Not gewartet, in der er als Retter der Nation wiederkehren könne. Er machte sich sogleich an die Konsolidierung seiner Macht. 1958 wurde die Verfassung, die die V. Republik begründete, mit überwältigender Mehrheit durch ein Referendum bestätigt. 

Machtfülle war speziell auf de Gaulle zugeschnitten

Das so geschaffene, sehr auf den Präsidenten ausgerichtete System hielt allen bisherigen Krisen stand. So dem Abfall Algeriens vom Mutterland ebenso wie den Pariser Unruhen um und nach 1968, sowie de Gaulles endgültigem Rücktritt 1969. Der bis heute andauernden V. Republik und ihren Präsidenten widmet sich Albrecht Rothacher, der als Historiker und Diplomat den französischen Politikbetrieb kennenlernen konnte.

Wie ist diese Institution aufgebaut, durch welche der Präsident der Grande Nation mehr Macht und Befugnisse bekommt als in den meisten anderen westlichen Ländern? Durch wen und durch was kam dies zustande, was heute maßgeblich die Geschicke der sechstgrößten Volkswirtschaft mit einer der schlagkräftigsten Streitkräfte der Welt bestimmt? Rothacher geht bei der Beantwortung dieser Fragen sehr genau auf die Psyche der Präsidenten und ihres Umfeldes ein, während und nach ihren jeweiligen Amtszeiten. Dabei vertritt er ein eher konservatives Geschichtsbild von einem durch de Gaulle geschaffenen Präsidialsystem, das auf diesen zugeschnitten sei. 

Mit den nachfolgenden Präsidenten sei ein Werteverfall eingetreten. Dieser habe sich in den privaten Verhältnissen gezeigt, so etwa in den treulosen, durch viele Affären gezeichneten Beziehungen. Bei Giscard angefangen und sogar noch von seinen Nachfolgern fortgesetzt. Aber auch dienstlich sei dieser Niedergang spürbar gewesen, was sich im raschen Beliebtheitsverlust von Sarkozy und Hollande ausdrückte und ihre Amtzeit auf eine Legislatur begrenzte. Darüber hinaus nimmt das Hôtel Matignon, der idyllisch in einem Park an der Seine gelegene Sitz des der Regierung vorstehenden Ministerpräsidenten, welcher allerdings häufig auf die unliebsame Aufgabe der Schnittstelle zwischen Präsident und Regierung reduziert wird, mit einem eigenen Kapitel großen Raum ein.

Das Werk stellt eine umfassende wissenschaftliche Behandlung des Themas dar. Rothacher porträtiert ausführlich das politische System der V. Republik. Im ersten Teil des Buches behandelt er den Apparat des Präsidialsystems und deren Akteure, der zweite Teil geht noch umfangreicher auf die Biographien aller acht bisherigen Präsidenten ein und bildet somit einen guten Leitfaden durch die französische Politik der vergangenen siebzig Jahre. Geradezu dramenhaft wird dargelegt, wie Macht und Würde des Élysée-Palasts auf seine Bewohner wirken. 

Albrecht Rothacher: Das Unglück der Macht. Frankreichs Präsidenten von de Gaulle bis Macron. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2020, gebunden, 613 Seiten, 49 Euro