© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Im Nirgendwo unzuhause sein
Politische Mädchenträume
Wolfgang Müller

Vermutlich um ihren Feuilletonruhm als „eine der großen europäischen Intellektuellen“ nicht welken zu lassen, schreibt die italienische Philosophin Donatella Di Cesare ohne Unterlaß. Zu ihrem letztjährigen Ausstoß, darunter eine flotte Aufbereitung des Corona-Alptraums in Norditalien im Frühjahr 2020 (JF 39/20), zählt auch das linksliberale Gemeinplätze abgrasende Büchlein „Von der politischen Berufung der Philosophie“.

Aber politisch geht es dabei schon deswegen nicht zu, weil sie sich ins Gipfelgespräch mit zwei anderen „großen europäischen Intellektuellen“ verstrickt, dem Schwafelgrafen Peter Sloterdijk und dem neomarxistischen Wirrkopf Slavoj Žižek. Mit praktikabler Philosophie oder tiefen Einsichten in die Konstanten politischer Existenz sind diese lebenden Denker genauso wenig aufgefallen wie die wichtigsten ihrer toten Gewährsleute, der messianische Marxist Walter Benjamin und Hannah Arendt: Letztere kam nie los von der Schwärmerei für die „Räterepublik“, deren peinliche Karambolage mit der Wirklichkeit sie während ihrer Königsberger Mädchenjahre zwar wahrnahm, aber gedanklich nicht verarbeitete, so daß sie zeitlebens einem illusionären Kosmopolitismus frönen konnte. 

Arendts „Räte“-Modell wirkt auf Di Cesare immerhin insoweit inspirierend, wie sie sich selbst ihren idealen politischen Philosophen als Anarchisten und ewigen „Störenfried“ vorstellt. Was heute natürlich in eine Identifikation des Denker-Clochards mit den angesagten Medienlieblingen, dem „Fremden, Migranten, Exilanten“ mündet. Der Philosoph, seit Sokrates ja ohnehin stets am Rand der Gesellschaft hausend, sollte künftig exklusiv als Leitfigur einer Lebensform jenseits des Kapitalismus auftreten und den „neuen Menschentyp“ repräsentieren, der sich im „Anderswo des Denkens“ wohlfühle und der es nicht nötig habe, sich als „begrifflicher Unterhändler“ in der „demokratischen Konsensmaschine“ zu verdingen. 

Das sei für ihn freilich nur im „Unzuhause“ möglich, denn „Heimat“ finde dieser entortete Wanderer allein im „Nirgends“. Das ist original der verschwurbelte „Jargon der Eigentlichkeit“ (Adorno), der aus dem existentialistischen Morast der ersten Nachkriegsjahrzehnte tönt, in dem die kurz vor der Emeritierung stehende Autorin offenbar steckengeblieben ist. 

Donatella Di Cesare: Von der politischen Berufung der Philosophie, Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020, gebunden, 175 Seiten, 22 Euro