© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/21 / 09. April 2021

Neuer Wein aus neuen Reben
Weniger anfällig für Pilzbefall: „Piwi“-Tropfen sind auf dem Vormarsch
Bernd Rademacher

Ob am Kamin oder auf der Terrasse: Ein Gläschen Wein rundet den Tag erst richtig ab. Beim Kauf halten sich die meisten Konsumenten an die bekannten Sortennamen auf dem Etikett: Riesling, Chardonnay, Pinot Noir – da weiß man, was man trinkt.

Doch dann stutzt man, wenn im Regal neben dem gewohnten Cabernet Sauvignon oder Grauburgunder plötzlich Reben-Bezeichnungen auftauchen, von denen man noch nie gehört hat, zum Beispiel „Johanniter“, „Solaris“ oder „Vinera“. Fragezeichen über dem Kopf? Es handelt sich um „Piwi“-Weine. Das sind „pilzwiderstandsfähige“ Neuzüchtungen. Und das kann man trinken?

Unsere bekannten europäischen Traubensorten sind anfällig für Pilzkrankheiten wie Mehltau, vor allem bei naßkalter Witterung. Amerikanische Reben sind bedeutend robuster gegen diese Mykosen. Daher züchten Winzer Hybride aus amerikanischen (oder asiatischen) und europäischen Reben – die Piwis.

Die Idee ist nicht neu: Schon Ende des 19. Jahrhunderts versuchte man, die Resistenz der US-Reben mit der Qualität von Rhein, Loire und Co. zu kombinieren. Der Erfolg war mäßig: Kenner beschrieben den Geschmack als „fuchsbauartig“. In Frankreich und Italien wurde der experimentelle Anbau in den 1960er Jahren sogar verboten.

Seit der Jahrtausendwende haben die Piwi-Weine neuen Auftrieb bekommen, vor allem in der Schweiz. Von hier aus arbeitet eine internationale Arbeitsgruppe mit weltweit fünfhundert Mitgliedern an der Promotion von Sorten wie „Regent“, „Baron“ oder „Monarch“. Die Bezeichnungen erinnern an Produktnamen aus der DDR.

Dennoch bieten „die Neuen“ dem Winzer große Vorteile: Mit ihnen lassen sich erhebliche Mengen an Spritzmitteln einsparen, was nützliche Insekten im Weinberg erfreut. Die Fungizid-Verwendung im Weinberg übertrifft den Spritzeinsatz beim Obstanbau um ein Vielfaches. Damit reduziert sich die Summe der Traktorfahrten, was Kraftstoff spart und die Bodenverdichtung reduziert. Diese Maßnahmen sorgen für höhere Ertragssicherheit; das ist für den Weinbauern wirtschaftlich nicht uninteressant.

Interessant für den Bio-Anbau

Die Piwis sind allerdings nicht vollständig resistent, sondern nur widerstandsfähiger. Die Pilze zeigen auf ihnen ein deutlich reduziertes Wachstum. Auf Fungizide können die Weinbauern also zwar nicht ganz verzichten, brauchen aber erheblich weniger. Das erfordert viel Fachwissen, weil verschiedene Wetterperioden (heiß und trocken/kalt und naß) unterschiedliche Behandlungen erfordern.

Vor allem beim Öko-Wein setzen Winzer große Hoffnungen auf die Anti-Pilz-Reben, denn Bio-Anbau heißt nicht, daß nicht gespritzt wird, sondern nur, daß keine chemischen Mittel eingesetzt werden. Die stattdessen verwendeten Kupferlösungen sind aber nicht minder problematisch, vor allem weil davon viel höhere Dosen notwendig sind. Von einer Reduzierung könnten also Winzer, Käufer und Umwelt profitieren.

Geschmacklich wurden inzwischen deutliche Fortschritte erzielt. Dennoch fristen die Piwi-Sorten noch ein Nischendasein. In Deutschland und Österreich sind derzeit nur zwei bis drei Prozent der Anbaufläche mit Piwi-Reben bestockt. Besonders die Steiermark und die Pfalz sind die Vorreiter.

Winzerin Katja Galler vom Weingut Galler in Kirchheim/Pfalz ist begeistert, weil die Rebsorte Satin Noir nicht nur Pilzgift, sondern auch Arbeit spart: Da die Pflanze nur aufrecht wächst, muß sie keine Quertriebe herausschneiden und auch nicht per Hand entblättern, da die Rebe in der Traubenzone kein Laub ausbildet.

Die Arbeitsgemeinschaft will den Winzern nun bessere Informationen an die Hand geben, unter anderem auch Anleitungen für Vermarktungsstrategien. Das wird auch notwendig sein, denn der Weg zur Nachfrage führt nur über die Akzeptanz. Und viele Kunden sind Traditionalisten, die bekannte Rebsorten bevorzugen.

Dabei zeigen die Piwis alle Nuancen klassischer Aromen, von fruchtiger Säure bis zu samtigen Tanninen. Probieren Sie doch mal einen Souvignier Gris, der mit dezenten Fruchtnoten und feiner Säure an einen Grauburgunder erinnert. Wohlsein!