© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

„Es ist unerträglich“
In seinem neuen Buch geht der Schriftsteller Wolfgang Bittner nicht nur mit der aktuellen Corona-Politik hart ins Gericht, sondern vor allem mit der geopolitischen Unterwürfigkeit Deutschlands gegenüber den USA seit Ende des Zweiten Weltkriegs
Moritz Schwarz

Herr Dr. Bittner, Deutschland, so sagen Sie in Ihrem neuen Buch, sei seit 1945 „verraten und verkauft“. Inwiefern?

Wolfgang Bittner: Nach dem Krieg wurde Restdeutschland in Form der Bundesrepublik als Brückenkopf und Frontstaat der USA gegen die UdSSR aufgestellt. Wie ich schon 2019 in meinem Buch „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ schrieb, hob der Zwei-plus-Vier-Vertrag 1990 zwar die im Deutschlandvertrag von 1952 enthaltenen Einschränkungen der deutschen Souveränität auf. Doch nach neuen Verhandlungen mit den Westmächten wurden durch das Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut von 1993 souveränitätseinschränkende Bestimmungen beibehalten. 

Zum Beispiel? 

Bittner: Es betrifft die Rechtsstellung bei uns stationierter ausländischer Streitkräfte und ihre Befugnis, zum Selbstschutz Sicherungsmaßnahmen zu treffen, etwa durch Eingriffe ins Kommunikationswesen. Zudem nehmen die USA Einfluß durch Nötigung und Erpressung. 

Einfluß natürlich, aber „Erpressung“? 

Bittner: Ich bitte Sie, das zeigt sich etwa ganz offen in den völkerrechtswidrigen Sanktionsmaßnahmen zur Verhinderung von Nord Stream 2. Aber es bedarf meist gar keiner Repressalien, da Bundeskanzlerin Angela Merkel – die ich für ein Unglück für Deutschland halte – sehr offen gegenüber den Vorgaben aus Washington ist, von wo weitgehend die deutsche Außenpolitik bestimmt wird. Hinzu kommt, daß in führende Positionen in Politik und Medien häufig US-affine Personen geschoben werden.

„Verraten und verkauft“, das gelte auch für die Corona-Krise, wie Sie im letzten Kapitel Ihres Buches darlegen. Klingt allerdings ein wenig nach dem typischen Alarmismus eines Teils der Corona-Kritiker – den es neben dem Alarmismus der Medien gegenüber den Corona-Kritikern ja auch gibt. 

Bittner: Die Zwangsmaßnahmen, die am Parlament vorbei erlassen wurden, sind verfassungswidrig und unverhältnismäßig. Das sage nicht nur ich als Jurist, sondern auch der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Zwar sollten rechtswidrige Maßnahmen durch Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes nachträglich legitimiert werden, aber Grundrechte können, gerade in Krisenzeiten, nicht einfach abgeschafft werden. Auch darüber wird kaum gesprochen. 

Ein von etlichen Prominenten gerade veröffentlichtes „Manifest für eine offene Gesellschaft“ spricht von „Konformitätsdruck“ in der Corona-Debatte. 

Bittner: Ja, der Debattenraum wird immer enger und die Indoktrination der Bevölkerung zeigt Wirkung. In Deutschland sterben normalerweise täglich 2.600 bis 2.800 Menschen, was viele nicht wissen. 2020 gab es zudem keine nennenswerte Übersterblichkeit – auch nicht in einigen Ländern ohne Lockdown. Obrigkeitliche Maßnahmen werden mit dem Inzidenzwert begründet, einer Art Zauberformel, die der Regierung als Basis für ihr Handeln dient. Aber das ist genaugenommen ein willkürliches Zahlenspiel. Denn je mehr Tests – noch dazu mit dem fragwürdigen PCR-Verfahren – durchgeführt werden, desto höher ist die Zahl der positiv Getesteten. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß positiv Getestete nicht unbedingt infiziert oder krank sind. Daraus folgen ernste Zweifel am Nutzen der Zwangsmaßnahmen. Zwar ist erwiesen, daß das Virus hochansteckend und gefährlich ist. Doch wird ein Staat für über ein Jahr praktisch stillgelegt, sind die Folgen für die Gesellschaft katastrophal. Fraglich, ob das alternativlos ist, wie die Kanzlerin behauptet.

Aber ist dafür nicht die übliche Selbstgefälligkeit, Verantwortungslosigkeit und Arroganz der Politik verantwortlich und kein Plan, die Demokratie auszuhebeln, wie ein Teil der Corona-Kritiker glaubt?

Bittner: Selbstgefälligkeit, Verantwortungslosigkeit und Arroganz, das trifft zu. Frau Merkel sagte kürzlich, am Ende trage sie für alles die Verantwortung – als ob es kein Parlament gäbe. Was für eine Hybris! Hält sie sich auch verantwortlich dafür, daß die Reichen gerade wieder reicher und die Armen noch ärmer werden? Frau von der Leyen stand gar nicht auf der Kandidatenliste zur Europawahl, und Frau Kramp-Karrenbauer erweist sich als willige Erfüllungsgehilfin bei der Aufrüstung. Falls es einen Plan gibt, die Demokratie auszuhebeln, dann dürfte er von Kräften aus dem Hintergrund stammen, die für eine umfassende Digitalisierung, Überwachung und Militarisierung eintreten, womöglich sogar für Krieg gegen Rußland und China.

Zum Verständnis: Hat das Ihrer Meinung nach etwas mit Corona zu tun oder nicht?

Bittner: Ob die Pandemie vorgetäuscht ist oder absichtlich herbeigeführt wurde, ist für mich bisher nicht erkennbar. Bekannt ist jedoch, daß schon vorher Planspiele stattfanden und daß sich alljährlich die einflußreichsten Menschen der Welt beim Weltwirtschaftsforum treffen. Und zwar mit dem Ziel, alle „Stakeholder der globalen Gesellschaft“, wie es heißt, in eine Gemeinschaft mit gemeinsamen Interessen, Zielen und Handlungen zu integrieren. Ob diese Ziele, auf die ich in meinem Buch unter dem Stichwort „Great Reset“ näher eingehe, im Sinne der breiten Bevölkerung sind, bezweifele ich. Jedenfalls haben der ehemalige britische Premier Gordon Brown und andere wegen Corona eine Weltregierung gefordert, die aber keine demokratische Legitimation hätte. Und im Windschatten der Krise geht die Aggressions- und Sanktionspolitik des Westens unter Führung der USA gegen Rußland, China, Syrien, Venezuela, Iran und andere Länder weiter. Hinsichtlich der deutschen und der Brüsseler Politik äußerte Bundestagspräsident Schäuble, die Corona-Krise sei „eine große Chance“ für die Durchsetzung von bisher stagnierenden Vorhaben in der Europäischen Union. Täuschen wir uns nicht, vieles geschieht hinter den Kulissen und entspricht keineswegs dem Mehrheitswillen der Bevölkerung.

Was glauben Sie, soll „hinter den Kulissen“ durchgesetzt werden, während wir mit der Pandemie beschäftigt sind?

Bittner: Ich sage nochmal: Warum das alles geschieht, was wir derzeit in Sachen Corona erleben, ob aus Unsicherheit, Unfähigkeit oder Berechnung, ist schwer zu sagen. Es gibt Hinweise, daß das Finanzsystem schon zuvor vor dem Zusammenbruch stand, und es ist nicht auszuschließen, daß die USA auf einen Krieg mit Rußland und China abzielen. Aber Spekulationen helfen nicht. Besonders verwerflich finde ich die Panikmache, mit der in der Bevölkerung regelrecht Hysterie erzeugt wird. So ist es ja auch gelungen, die Grundrechte auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Jetzt wird schon von einer „neuen Realität“ gesprochen und daß die Welt nach der Krise nicht mehr so sein wird wie zuvor. Ich muß gestehen, daß mich das erschreckt.

Als Ursprung der politischen Zustände heute nennen Sie in Ihrem Buch die heute üblichen, einseitige Deutung des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Was ist an deren gängiger Darstellung falsch?

Bittner: Nachdem nun allmählich die Archive geöffnet werden, stellt sich heraus, daß vieles, was in den Geschichtsbüchern steht, falsch ist. Etwa die These der Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg, womit die ungeheuren Reparationszahlungen begründet wurden, die zum Aufstieg Hitlers beitrugen. Ich bin zum Ergebnis gekommen, daß die damals prosperierenden mitteleuropäischen Staaten Deutsches Reich und Österreich-Ungarn den Engländern, Franzosen und US-Eliten im Wege waren und deshalb vernichtet werden sollten. Das ist mit der bedingungslosen Kapitulation 1945 erreicht worden. In meinem Buch gehe ich darauf genauer ein.

Eine solche Deutung gilt heutzutage als typisch „rechts“. Sie aber betrachten sich als Linken. Wie paßt das zusammen?

Bittner: Mit dieser Einordnung kann ich nicht viel anfangen. Ich bin für einen demokratischen, sozialen und souveränen deutschen Staat, wie er auch im Grundgesetz vorgesehen ist. Was ist daran links oder rechts? Ich bin kein Politiker, sondern Schriftsteller, und ich leide, wie sehr viele Menschen in unserem Land, unter den gegenwärtigen politischen und sozialen Verhältnissen. In meinem Buch versuche ich eine Übersicht über die weltpolitische Lage und Deutschlands Position zu geben. Dabei gehe ich von Fakten aus, beschäftige mich dann mit den unterschiedlichen Meinungen und ziehe daraus meine Schlüsse – das ist meine Arbeitsweise.

Sie argumentieren, wäre unsere geschichtliche Sicht von der üblichen Interpretation befreit, könnte Deutschland werden, was es nach Ihrer Analyse nicht ist: souverän. Was wäre dann anders als heute?

Bittner: Ich halte die permanenten Selbstanschuldigungen deutscher Politiker hinsichtlich der Naziverbrechen für problematisch. Wenn die Kasteiungen nach einem Dreivierteljahrhundert kein Ende finden, muß man sich nicht wundern, daß Feierlichkeiten zu Siegen über Deutschland wieder aufleben. Bundespräsident Steinmeier erklärt in Polen: „Unsere Verantwortung vergeht nicht“ und „als deutscher Gast trete ich barfuß vor Sie“. Einerseits ist da diese eingeübte Demutshaltung bis hin zur Selbstaufgabe, andererseits die Überheblichkeit, wenn es gegen Rußland geht. Selbstverständlich sind die Verbrechen während des Faschismus nicht in Zweifel zu ziehen oder zu relativieren. Aber es gibt wohl kein anderes Land, in dem das Gedächtnis für die eigene Schuld von Politik und Medien über Generationen hinweg derart wachgehalten wird. Damit einher geht, daß die deutsche Politik im Grunde schon seit 1945 von scheinheiliger Unterwürfigkeit und Opportunismus geprägt ist. Ein peinliches Beispiel dafür war die weltweit beachtete Rede Steinmeiers 2019 in Warschau. Der damalige US-Vizepräsident Mike Pence war anwesend, und Steinmeier pries die Vereinigten Staaten als Vorbild für Demokratie und Freiheit. Er sprach von der Macht ihrer Armee, von Dankbarkeit gegenüber den USA, deren Großzügigkeit, Ideen und Werten etc. Ich fand das unerträglich.

Weder die USA noch Rußland haben unser Wohl im Auge, sondern ihre eigenen Interessen. Beide versuchen uns, was nur natürlich ist, zu manipulieren und gegen den anderen einzuspannen. Ist es aber nicht einseitig, wenn Sie dieses Spiel meist nur so kritisieren, daß die USA und ihre Anhänger hierzulande als die großen Manipulatoren erscheinen? Das ist ja nicht falsch, gilt aber doch ebenso für Rußland.

Bittner: Ich habe Mühe mit dieser „Sowohl-Als-auch“-Argumentation, daß also Rußland genauso aggressiv sei wie die USA. In vielen Ländern, und auch bei uns, wird eine eigenständige Entwicklung nicht durch Rußland, sondern durch die USA verhindert. Und es geht auch nicht um ein „mit Rußland gegen die USA“ – sehr wohl aber wird Deutschland als Speerspitze gegen Rußland aufgestellt, wodurch die USA den Rücken gegen China freibekommen.

Folgt man Ihrer Analyse, wohin führt dann der geopolitische Kurs Deutschlands?

Bittner: Das US-Außenministerium, die CIA und andere interessierte Kreise aus den USA haben schon lange erkannt, daß die Macht hat, wer die Medien besitzt. Daher haben sie seit 1945 die Welt und insbesondere den Frontstaat Deutschland mit einem Netz von Einflußagenten und Denkfabriken überzogen, die in ihrem Sinne Einfluß nehmen. In meinem Buch „Der neue West-Ost-Konflikt“ nenne ich eine große Zahl von Politikern, Journalisten und anderen, die Mitglieder in diesen Netzwerken sind. Solange das so bleibt, ist Deutschland wirklich verraten und verkauft.

Kritiker sagen, Ihre Analyse sei nicht von Realpolitik, sondern von politischem Idealismus und Rußland-Romantik geleitet. 

Bittner: Was ist denn Realpolitik? Sind es die vielen von den USA und ihren Vasallen zu verantwortenden Konflikte und Kriege, die überall auf der Welt zu Chaos führen und Millionen Tote zur Folge haben, ganz abgesehen von den Flüchtlingsströmen. Ich meine den Zustand der Welt und die Position Deutschlands durchaus realistisch zu sehen. Die Menschen in Deutschland und in Westeu­ropa wollen in Frieden und Wohlstand leben, sie wollen weder amerikanisch noch russisch, noch chinesisch sein. Ich bin sicher: Würde eine der Parteien die Friedenspolitik zu ihrem Hauptthema machen, erhielte sie große Zustimmung. Doch danach sieht es zur Zeit leider nicht aus.  






Dr. Wolfgang Bittner, erregte schon mit seinem vielgelobten Debütroman „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“ (1978) Aufmerksamkeit. Seitdem veröffentlichte der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller neben Gastbeiträgen, etwa in der Frankfurter Rundschau, Zeit oder Neuen Zürcher Zeitung, zahlreiche Romane (wie „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“) und Sachbücher, zuletzt „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ (beide 2019) und ganz neu: „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“. Geboren wurde der promovierte Jurist 1941 in Gleiwitz/Oberschlesien.

Foto: Bundeskanzlerin Merkel: „Meist jedoch bedarf es gar keiner Repressalien, da Angela Merkel – die ich für ein Unglück für Deutschland halte – sehr offen gegenüber den Vorgaben aus Washington ist, von wo aus auch die deutsche Außenpolitik weitgehend bestimmt wird … Solange das so bleibt, ist Deutschland wirklich verraten und verkauft“ 

weitere Interview-Partner der JF