© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Mehr Zentralstaat wagen
Änderungen am Infektionsschutzgesetz: Für eine Zweidrittelmerhheit ist die Bundesregierung auf die Opposition angewiesen / Die Grünen stehen bereit
Peter Möller

Für die einen ist es ein unumgänglicher Schritt, um die dritte Corona-Welle in Deutschland zu brechen und möglichst viele Menschenleben zu retten. Für die anderen ist es ein Anschlag auf die verfassungsmäßige Ordnung und eine Aushöhlung des Föderalismus in der Bundesrepublik.

Die Rede ist von der Debatte über die von der Bundesregierung geforderte Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ziel, eine sogenannte „Notbremse“ zu verankern, die es möglich macht, unabhängig von der Zustimmung der einzelnen Bundesländer, deutschlandweit Einschränkungen zum Infektionsschutz zu verhängen. Diese sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung automatisch in Landkreisen greifen, in denen innerhalb einer Woche eine Inzidenz von hundert Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner oder mehr registriert wird. Das trifft derzeit auf mehr als die Hälfte aller Landkreise zu. Dort sollen dann nach dem Gesetzentwurf, den das Kanzleramt am Wochenende an die Bundestagsfraktionen mit der Bitte um Stellungnahme verschickt hatte, private Treffen nur noch eines Haushaltes mit einer weiteren Person – maximal fünf Personen ohne Kinder – möglich sein. Vorgesehen sind zudem Ladenschließungen sowie Ausgangsbeschränkungen von 21 bis fünf Uhr. Ab einem Inzidenzwert von 200 sollen zudem die Schulen schließen. Solange die Infektionszahlen unter dem Inzidenzwert von hundert liegen, bleiben die bisherigen Beschlüsse von Bund und Ländern in Kraft. So sollen die regelmäßigen Corona-Gipfel der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten überflüssig werden.

Die Reaktionen auf die Pläne für die Notbremse fielen im politischen Berlin naturgemäß sehr unterschiedlich aus. Während die Regierungsparteien von Union und SPD für die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes warben, kam von der Opposition teilweise deutliche Kritik. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) meinte, die Notbremse sei jetzt dringend notwendig. „Alle Argumente liegen seit Monaten auf dem Tisch, alle Maßnahmen sind bewertet.“ 

Der Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans mahnte, es könne nicht so weitergehen, wie bisher. Deutschland sei in einer „nationalen Notstandssituation“. Nötig sei „eine nationale Kraftanstrengung“ und „ein Gesetz mit Zähnen“.

Skeptiker auch in Koalitionsfraktionen

Die Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Alice Weidel und Alexander Gauland, warnten dagegen eindringlich vor der Gesetzesverschärfung. Es gebe keinen Grund, „die Zuständigkeit der Bundesländer im Kampf gegen Corona zu beschneiden und dadurch den Föderalismus zu entkernen“. Auch FDP-Fraktionschef Christian Lindner machte die Ablehnung seiner Fraktion deutlich. Hinsichtlich des konkret vorgelegten Gesetzentwurfs habe die FDP erhebliche Bedenken, „ob die enthaltenen Maßnahmen wirksame und verhältnismäßige Beiträge zur Pandemiebekämpfung darstellen und ob die Bestimmungen insgesamt einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten“, schrieb Lindner der Kanzlerin in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf. 

Der Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, kündigte für seine Fraktion ebenfalls an, gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes zu stimmen.Doch kritische Stimmen kommen nicht nur von AfD, FDP und Linkspartei. Auch in der Koalition gibt es offenbar Vorbehalte gegen eine bundesgesetzliche Regelung im Kampf gegen Corona. 

So twitterte der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu am Montag: „Ich bin skeptisch gegenüber einem Eingriff in den Föderalismus. Ich sehe keine Regelungslücke, nur Mangel an Verantwortungsbewußtsein und Entschlossenheit. Jedes Land kann das Notwendige tun. Es muß nur wollen. Eine Bundesverordnung kann vielleicht nachhelfen. Kann. Vielleicht.“

Die Grünen zeigten sich als einzige Oppositionspartei kooperationsbereit. „Die Infektionslage und die Situation auf vielen Intensivstationen sind beunruhigend. Es muß dringend gehandelt werden“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 

Die Grünen seien daher bereit, eine zügige Beschlußfassung zu ermöglichen. Das hat mehr als nur symbolische Bedeutung. Damit das Gesetz so schnell wie von der Bundesregierung gefordert in Kraft treten kann, muß es in einem beschleunigten Verfahren durch Bundestag und Bundesrat gebracht werden. Dazu braucht es eine Zweidrittelmehrheit – und die gibt’s nur mit Stimmen der Opposition.