© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Sorglos Party machen
Brasilien: Sechs Minister mußten angesichts der Corona-Krise ihren Hut nehmen
Wolfgang Bendel

In Brasilien mehren sich die Berichte über gestohlene Impfstoffe. Gesundheitsstationen und Spitäler werden ausgeraubt und die entwendeten Dosen illegal weiterverscherbelt. Daß die Kriminellen sich dabei kaum um Kühlketten scheren und die Vakzine beim Weiterverkauf bereits unbrauchbar sein dürften, ist vielen Käufern offensichtlich nicht bewußt. Aber Angst, Panik und Ignoranz kennen in dieser Angelegenheit auch in Brasilien keine Grenzen mehr. 

Insgesamt nehmen die Corona-Fälle rasant zu. Zuletzt waren es täglich bis zu 4.000 Menschen, die an oder mit dem Virus verstarben. Mehr als 320.000 Brasilianer gehen inzwischen in die Statistik als Corona-Tote ein. Angesichts dieser Zahlen sollte man allerdings die Bevölkerungszahl des Landes berücksichtigen. 

Inzwischen leben in dem größten Staat Lateinamerikas 211 Millionen Menschen. Die Zahl der Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19 je Million Einwohner ergibt ein Bild, bei dem Brasilien nicht ganz so schlecht abschneidet, wie es auf den ersten Blick aussieht. 

Das südamerikanische Land lag Ende März diesbezüglich weltweit mit 1.471 Toten pro Million Einwohner an zehnter Stelle und ließ dabei Staaten wie Großbritannien, die USA, Italien und Frankreich hinter sich. Trotzdem ist die Entwicklung ernst zu nehmen. Verharmlosungen wären fehl am Platz.

Noch in der zweiten Hälfte des Vorjahres schien das Land das Gröbste überstanden zu haben. Die Infektionszahlen gingen deutlich zurück, und Präsident Jair Bolsonaro hatte durch schnelles und unbürokratisches Handeln die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie in den Griff bekommen. 

Eine sofort ausbezahlte Notfallhilfe führte in den ärmeren Stadtvierteln sogar zu einem gewissen Boom, da viele Menschen plötzlich über ein zwar kleines, dafür aber garantiertes Einkommen verfügten.

Seitdem vor einigen Monaten eine zweite Welle der Krankheit begann, verschlechterte sich das Bild jedoch zusehends. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Es tauchte eine neue Mutation P1 des Virus auf, die ansteckender als das ursprüngliche Virus ist. Hinzu kam eine große Sorglosigkeit der Bevölkerung, die sich bereits mit dem Gedanken angefreundet hatte, die Normalität sei zurückgekehrt und das Leben könne wieder in gewohnten Bahnen verlaufen.

 Die im Herbst des Vorjahres stattgefundenen landesweiten Kommunalwahlen, bei denen regelmäßig große Menschenmengen zu den Wahlveranstaltungen kamen, taten ihr übriges. Erschwerend kommt hinzu, daß das brasilianische Gesundheitssystem chronisch überlastet ist. Gut ausgebildete Fachkräfte fehlen, und die medikamentöse und technische Ausstattung der Krankenhäuser läßt zu wünschen übrig. Allesamt Mißstände, die schon vor dem Auftreten der Pandemie virulent waren und durch diese jetzt unübersehbar wurden.

Brasilien ist ein Land mit kontinentalen Ausmaßen. Deshalb kann man die Ereignisse bezüglich des Coronavirus nicht generalisieren. In Großstädten wie Rio de Janeiro oder São Paulo schnellten die Fallzahlen nicht zuletzt wegen ständig überfüllter Busse, U-Bahnen und Züge in die Höhe. Auch ausufernde Straßenfeste Jugendlicher, vor allem in der Peripherie der Städte und Strandpartys trugen ihren Teil dazu bei.

Daß es aber auch anders geht, sieht man am Beispiel der Touristenmetropole Porto Seguro im Bundesstaat Bahia. Dort empfiehlt das Sekretariat für Gesundheit unter der Leitung von Raissa Soares vor allem auch prophylaktische Maßnahmen, um der Pandemie von vorneherein Grenzen zu setzen. 

Im Notfall sollen die Streitkräfte eingreifen

Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Die Zahl der Corona-Toten liegt in Porto Seguro deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Dr. Soares setzt neben den Vitaminen D und C sowie Zink auch umstrittene Wirkstoffe wie Chloroquin, Azithromycin und Ivermectin ein. 

Angesichts des Corona-Anstiegs  entließ Präsident Bolsonaro Ende März sechs Minister, darunter den Außenminister Ernesto Araújo, einen Rechtsintellektuellen, und den Verteidigungsminister. Araújo wurde vorgeworfen, das Verhältnis zu China belastet zu haben, da er immer wieder den Verdacht äußerte, das Coronavirus habe seinen Ursprung in einem chinesischen Forschungslabor. 

China ist einer der Hauptlieferanten von Impfstoffen an Brasilien und drohte bereits mehrmals, den Export zu unterbrechen. Der Entlassung des Verteidigungsministers folgte der Rücktritt der Befehlshaber der drei Teilstreitkräfte. Der Streit hatte sich in diesem Fall an der Forderung Bolsonaros entzündet, die Streitkräfte sollten im Notfall einschreiten und die Regierungen einiger Bundesstaaten absetzen für den Fall, daß diese eine aus Sicht des Präsidenten zu restriktive Politik des Lockdowns betreiben würden. Aus der gesundheitlichen könnte sich eine veritable politische Krise entwickeln.

Foto: Razzia in einem Nachtclub in Sao Paulo: Brasilianische Polizeibeamte führen im Morgengrauen an einem Wochenende eine Kontrolle bei einer  Veranstaltung mit etwa 600 Personen durch, von denen viele keinen Mundschutz tragen und den erforderlichen Abstand nicht einhalten