© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Rückfall in die Vergangenheit
Nordirland: Der Zorn der Protestanten entzündet sich an Grenzfragen durch den Brexit
Daniel Körtel

Es ist vermutlich ein letzter Dienst, den Prinz Philip seinem Land mit seinem Tod am vergangenen Freitag geleistet hat. In Respekt vor der königlichen Familie forderten die loyalistischen Paramilitärs in Nordirland dazu auf, die tagelangen Unruhen zu unterbrechen. Beobachter fühlten sich zurückversetzt in die dramatischen Hochzeiten der „Troubles“, des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen pro-irischen Katholiken und pro-britischen Protestanten. 

Ausgehend von den loyalistischen Wohngebieten Derrys griffen die Unruhen auf die Provinzhauptstadt Belfast und der Grafschaft Antrim über. Jugendliche, die offenbar von im Hintergrund agierenden Erwachsenen angestachelt wurden, errichteten Barrikaden und warfen Steine, Feuerwerk und Benzinbomben auf Polizeikräfte, die Dutzende von Verletzten zu beklagen hatten. Erstmals seit sechs Jahren setzte die Polizei in Nordirland Wasserwerfer ein.

Mit diesen Ausschreitungen haben die Befürchtungen, die mit dem Brexit verbundene Lösung der Grenzfrage zwischen der Republik Irland und Nordirland würde zu einer Destabilisierung der Region führen, nunmehr eine reale Form angenommen. 

In einem Protokoll wurde für Güter aus dem übrigen Großbritannien de facto eine Grenze in die Irische See verlegt, um die innerirische Grenze weiter offen zu halten. Die pro-britischen Unionisten und Loyalisten lehnen diese Regelung als Unterminierung der Position Nordirlands im Vereinigten Königreich ab und fordern vehement Nachverhandlungen.

Doch eigentlich rührt das umstrittene Protokoll tiefer an der Mentalität der nordirischen Protestanten, als es die Frage um Zolltarife vermag. Denn größer als ihre Angst vor der feindlichen Übernahme durch Dublin ist die vor dem Verrat aus London an ihren Interessen. Premier Boris Johnson hat mit dem Bruch seines Versprechens, daß es unter ihm keine innerbritischen Barrieren geben werde, dieser Urangst enormen Auftrieb verschafft.

Als weiterer Auslöser für den Rückfall in die Vergangenheit gilt die Beerdigung des populären IRA-Aktivisten Bobby Storey im vergangenen Sommer. Obwohl wegen der Corona-Pandemie bei solchen Anlässen die Zahl auf 30 Trauergäste beschränkt ist, nahmen mehr als 1.500 daran teil, darunter prominente Republikaner. Dieser spektakuläre Bruch der Corona-Regeln blieb für die Beteiligten bislang ohne Folgen, was wiederum einen fatalen Eindruck bei den Protestanten hinterließ.