© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Abschied vom letzten Castro
Kuba: Die Markt- soll plötzlich der Planwirtschaft unter die Arme greifen
Paul Leonhard

In Kuba herrscht neuerdings eine „Planwirtschaft, die den Markt berücksichtigt“. Definiert hat dies Präsident Miguel Díaz-Canel in einem mit der Rektorin der Universität Havanna erarbeiteten Analysepapier. Dieses favorisiert für die Zukunft ein „innovationsorientiertes Regierungsverwaltungsmodell“, wobei auf erprobte Konzepte Chinas zurückgegriffen werden soll. Als aktuellen „Hauptwiderspruch“ nennt Díaz-Canel die „Befriedigung der wachsenden Bedürfnisse der Bevölkerung“. Dabei sind diese gar nicht gewachsen, sondern auf Hungerniveau geschrumpft. Die Menschen sind schon dankbar, wenn sie Reis, Bohnen oder Spaghetti ergattern können.

Wenn Kubas Kommunisten sich vom 16. bis 19. April auf ihrem VIII. Parteitag zusammenfinden, dürfte es sich um die größte Krisensitzung seit Beginn der Wirtschafts-Sonderperiode Anfang der 1990er Jahre handeln. 

Die Wirtschaft des Tropenparadieses liegt darnieder. Einem bescheidenen Wachstum von jährlich einem Prozent zwischen 2016 und 2019 folgte 2020  ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von elf Prozent. Und damit ausgerechnet in jenem Jahr, in dem die Staatsführung eine wirtschaftlich-soziale Strategie verabschiedete, an deren Umsetzung noch immer laboriert wird. 

Schuld ist aus Sicht der Regierenden  natürlich nicht das eigene System, sondern die durch die Trump-Regierung verschärfte Wirtschaftsblockade durch die USA und der Ausbruch der Corona-Pandemie. Erst danach werden kleinlaut einige „strukturelle Probleme“ und „interne Mängel“ eingeräumt.

Kuba muß sich dringend Devisenquellen erschließen und insbesondere die eigene Lebensmittelindustrie ankurbeln. Worin die Anreize bestehen, damit Genossenschaften oder private Bauern ihre Produktivität erhöhen, bleibt unklar. Andererseits soll am kostspieligen „Prinzip der sozialen Gerechtigkeit der Revolution“ festgehalten werden. Ohne Gegenfinanzierung steht der Sozialstaat, der sich noch nie selbst finanzieren konnte, weiterhin auf tönernen Füßen.

Man lerne ständig aus Fehlern, stellte Präsident Díaz-Canel fest. Künftig sollen Experten die Regierung auf allen Ebenen beraten. Doch allein die Währungsreform habe vorhandene wirtschaftliche Probleme gezeigt, „die wir vorher noch nicht einmal wahrgenommen haben“, räumte der Leiter der Reformkommission, Marino Murillo, ein. Im 62. Jahr des „Triumphes der Revolution“ sind Kubas Kommunisten zu der Einsicht gelangt: „Das Leben hat uns gezeigt, daß keiner von uns über die absolute Wahrheit verfügt.“