© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Der amerikanische Gentleman bittet zur Kasse
IWF-Tagung: Joe Biden fordert globale Firmen-Mindeststeuern / Begeisterung in Paris und Berlin, Sorgenfalten in anderen EU-Ländern
Albrecht Rothacher

Alljährlich treffen sich die Finanzminister und Notenbankchefs der wirtschaftlich wichtigsten Länder zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Coronabedingt findet das Treffen erneut weitgehend virtuell statt, dennoch war das Palaver interessant. Denn aus dem Weißen Haus tönt es vor den „Spring Meetings 2021“: „Kehrt marsch“ bei den Unternehmenssteuern.

Die waren von Donald Trump von 35 auf 21 Prozent gesenkt worden, und die US-Wirtschaft ist auch deshalb – im Gegensatz zu Europa – ziemlich heil durch die Corona-Krise gekommen. Sein Nachfolger Joe Biden will sie wieder auf 28 Prozent erhöhen, um seine versprochenen billionenschweren Konjunktur-, Konsum- und Infrastrukturpakete zumindest teilweise gegenzufinanzieren. Das ist keine leere Drohung: Die amerikanische Steuerbehörde IRS und die Steuerfahndung CID haben umfassende weltweite Befugnisse.

So besteht schon seit Jahrzehnten eine globale Einkommensteuerpflicht für jeden US-Bürger – egal wo er geboren wurde oder aktuell lebt und arbeitet. Durch Barack Obamas Foreign Account Tax Compliant Act (Facta) wurde ab 2010 sogar ein obligatorischer Informationsfluß durchgesetzt. Selbst verschwiegene Banken in der Schweiz oder Luxemburg wurden unter Androhung von Sanktionen gezwungen, US-Steuerpflichtige und ihre Konten an Washington zu melden.

Selbst bei einer Aufgabe der US-Staatsbürgerschaft greift für „Covered Expatriate“ eine exorbitante Wegzugsbesteuerung – und das nicht nur bezogen auf Firmen-, sondern auf das weltweite Vermögen der Ausgebürgerten. Bidens US-Demokraten wollen nun auch stärker auf die Gewinne von Tochtergesellschaften von US-Konzernen im Ausland zugreifen: Der Steuersatz soll von 10,5 auf 21 Prozent steigen, kündigte Finanzministerin Janet Yellen an. Damit amerikanische Firmen nicht schlechter gestellt werden und eventuell ins Ausland abwandern, wollen die USA die 21 Prozent als weltweiten Mindestsatz für Körperschaftssteuern durchdrücken.

In der EU ist bei Steuern Einstimmigkeit notwendig

Bislang sorgte der globale Steuerwettbewerb für sinkende Sätze: Polen und die Tschechei warben mit 19 Prozent, Litauen mit 15 Prozent, Irland mit 12,5 und Ungarn mit neun Prozent erfolgreich um Investoren. In den OECD-Ländern sank der durchschnittliche Steuersatz seit 2010 von 32,2 auf 23,2 Prozent. Irland erzielte als steuerlicher Firmensitz von Facebook und Google im Corona-Jahr 2020 als einziger EU-Staat ein Wirtschaftswachstum von 3,4 Prozent. Würden die Unternehmenssteuern auf 21 Prozent steigen, wäre die Fünf-Millionen-Einwohner-Insel nicht nur Brexit-geschädigt, sondern auch seinen Standortvorteil los. Denn jene 8,5 Prozent an zusätzlichen Steuereinahmen wanderten nach Washington, nicht in die Dubliner Staatskasse.

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire und sein Amtskollege Olaf Scholz (SPD) feierten den Biden-Plan. Paris war bislang mit seiner Digitalsteuer für IT-Konzerne weltweit isoliert, unter Trump drohten US-Sanktionen. In Kooperation mit Berlin könnten nun die „Steueroasen“ für Amazon, Facebook oder Starbucks in Irland, in Luxemburg und den Niederlanden „ausgetrocknet“ werden. Und statt eines transatlantischen Handelskrieges gäbe es amerikanischen Segen dazu.

Jeff Bezos, Amazon-Gründer und derzeit laut Forbes mit 197 Milliarden Dollar Vermögen der reichste Mann der Welt, tat bislang alles, um Steuern zu sparen – nun wirbt der 57jährige öffentlich für eine höhere Besteuerung. Warum? Der mächtige Biden-Unterstützer hofft im Gegenzug auf US-Steuergutschriften für neue Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Und Bezos braucht politische Rückendeckung in seinem unnachgiebigen Kampf gegen die Gewerkschaften, die seine ausgebeuteten Lagerarbeiter und Aushilfsfahrer organisieren wollen.

Die USA, Frankreich und Deutschland scheinen sich einig. Doch es fehlen in der G20-Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer noch 17 andere Mitentscheider. In der EU gilt bei Steuerfragen die Einstimmigkeit. Auch die anderen „Steuerparadiese“ wollen sich ihr einträgliches Geschäftsmodell nicht kaputtmachen lassen. Das weiß Joe Biden nur allzu gut: 36 Jahre lang hat er als US-Senator die Privilegien der amerikanischen Steueroase Delaware erfolgreich verteidigt.

Großbritannien hatte bislang geplant, seinen Firmensteuersatz ab 2023 von 19 auf 25 Prozent zu erhöhen. Ob außerhalb des G20-Zirkels ab Juli jemand mitmachen wird, ist unklar. Doch die USA werden wie bei den weltweiten Facta-Quellensteuern und der Vernichtung des Bankgeheimnisses dennoch erneut versuchen, nach und nach die Daumenschrauben anzulegen. Höhere Unternehmenssteuern und neue Digitalsteuern sind populär: So stünden den Corona-Schuldenbergen theoretisch neue Einnahmen gegenüber.

Bezos und seine Milliardärsfreunde Bill Gates, Mark Zuckerberg & Co. werden davon kaum ärmer. Höhere Steuern machen ihre Dienstleistungen für die Verbraucher teurer und treiben die Inflation. Ob sie den durch die Corona-Repressionen ruinierten innerstädtischen Handel je wieder zum Leben erwecken können, ist mehr als ungewiß. Und haben BASF, BMW, Daimler, Siemens und VW sowie die deutschen Mittelständler wirklich ein Interesse an der Verlegung des Steuersitzes dorthin, wo sie nicht ihren Firmensitz haben, sondern dahin, wo sie ihre jeweiligen Geschäfte machen?

China, Indien, Rußland, die USA, Großbritannien, Brasilien und der Rest der Welt würden sich freuen. Gespannt kann man sein, ob der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen zu diesem Steuerthema etwas einfällt. Auf der aktuellen „EU-Liste nicht kooperativer Länder und Gebiete“ finden sich neben Panama und exotischen Eilanden auch die US-Außengebiete Guam, Amerikanisch-Samoa und die Jungferninseln.

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