© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Apologie der laufenden Zerstörung deutscher Lernkultur
Humboldt als Bologna-Pate
(wm)

Die Inszenierung des Bildungsbürgerlichen gehört zum guten Ton der Neuen Rechten.“ Diese Orientierung an der Tradition, die gegen Gesellschaftsreform und Fortschrittsglauben Stellung nehme, beziehe sich gern auf Ray Bradburys Science-fiction-Roman „Fahrenheit 451“ (1953), der von der Kraft der Erinnerung in Zeiten der Auslöschung kultureller Überlieferung erzählt. Sein Personal memoriert Texte, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Diese Dramaturgie eigne sich gegenwärtig „wunderbar als Projektionsfolie für das Selbstbild der Neuen Rechten in barbarischen Zeiten“, wie der Literaturwissenschaftler Markus Steinmayr (Uni Duisburg-Essen) herausgefunden zu haben glaubt. Zu Unrecht knüpfe dieses Selbstbild vom außerhalb der Institutionen stehenden, partisanenhaft-„romantischen“ Autodidakten dabei an Wilhelm von Humboldt an. Der von Steinmayr vermeintlich allein „auf das Menschengeschlecht“ fixierte Humanist und posthum zum „Romantiker“ ernannte preußische Reformer habe doch Universitäten und Gymnasien primär als Schrittmacher neuformierter Staatlichkeit konzipiert. Bildung werde für ihn daher innerhalb und nicht außerhalb der Institutionen vermittelt. Dieses Prinzip gilt für den Bologna- und Pisa-Apologeten Steinmayr gerade auch für die bundesrepublikanische Bildungspolitik. Sie sei keineswegs, wie der häufig auf Humboldt rekurrierende Philosoph und AfD-Politiker Marc Jongen behaupte, eine pädagogische Mühle des „Pisa-Konsortiums“, die den Verstand der Schüler und Studenten kleinmahle, und sie laufe auch nicht auf eine „planmäßige Zerstörung der deutschen Lehr- und Lernkultur“ hinaus (Merkur, 3/2021).


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