© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Chance, die Zensur zu umgehen?
Newsletter: Neue Anbieter versprechen individuelle Erlöse für freie Autoren
Gil Barkei

Momentan erfährt ein Dinosaurier des Internets eine Wiederbelebung: der Newsletter. Um die zu festen Zeiten verschickten Abonnenten-Mails, die den Grundstein für Gabor Steingarts „Morning Briefing“-Unternehmen Media Pioneer darstellten, sind längst mehrere Online-Dienstleister und Netzwerke entstanden. Der Angebotsausbau steht auch für eine zunehmende Individualisierung und Personalisierung in der Medienbranche. 

Freie Journalisten und Medienkonzerne können mit neuen Modellen des digitalen Rundschreibens neben den Marketingeffekten zusätzliches Geld verdienen. Gerade Freie verbinden damit große Hoffnungen auf ein festes Einkommen. Für unabhängige Autoren bieten Newsletter zudem die Chance, fern von Lösch-, Sperr- und Distanzierungswellen ihr Publikum zu erreichen. 

Die bei der New York Times abgetretene Bari Weiss, ihre gefeuerte Ex-Kollegin Lauren Wolfe sowie der beim Intercept ausgestiegene Glenn Greenwald (JF 10/21) haben sich bei der Newsletter-Plattform substack.com ein Konto eingerichtet. Das erst 2017 gestartete US-Portal zählt mittlerweile über 500.000 Nutzer, die mindestens einen Newsletter über das System kostenpflichtig abonniert haben. Autoren können bei Substack ihre Inhalte gratis oder für mindestens fünf Dollar pro Monat anbieten; etwa zehn Prozent fließen an das Unternehmen. Stars der Plattform wie die Geschichtsprofessorin Heather Cox Richardson mit ihren „Letters from an American“ verdienen bis zu zwei Millionen Dollar jährlich. Einige bekannte Namen werden von dem Startup, das laut eigener Aussage die Informationsqualität in den sozialen Medien wieder verbessern möchte, über das Programm „Substack Pro“ direkt bezahlt.

Längst haben auch die großen Tech-Firmen ein Auge auf das wachsende Geschäft geworfen. Anfang des Jahres hat Twitter den niederländischen Newsletter-Dienst Revue übernommen und eine bessere Monetarisierung und Vernetzung zwischen Autoren und Publikum versprochen – soziale Interaktion und Kontakt zu den Unterstützern zählen hier noch mehr als bei der klassischen Lokalzeitung. Eine Provisionssenkung auf fünf Prozent soll dabei auch große Verlage und Medienhäuser locken. Gleichzeitig arbeitet Twitter an dem Abo-Modell „Super Follows“, mit dem Profilbesitzer weitere kostenpflichtige Inhalte wie exklusive Tweets oder Videos anbieten können.

Vieles erinnert an altbekannte Netzwerke

Facebook hat für den Sommer ebenfalls eine eigene Newsletter-Anwendung angekündigt. Das Konzept soll im Zuge des Facebook Journalism Project aufgebaut werden und neue Erlösmodelle und gesteigerte Sichtbarkeit für lokale Medienkonzerne wie für Einzelpersonen bieten. Man wolle Journalisten helfen, von „den neuen Produkten zu profitieren“, sagt Campbell Brown, Facebooks Vize-Präsidentin für die globale Nachrichtenzusammenarbeit, gegenüber der New York Times.

Auf dem deutschen Markt versuchen unterdessen einheimische Unternehmen Fuß zu fassen bei dem neuen Trend. Steady sieht seine „Mission“ darin, „unabhängige Publisher auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft zu unterstützen“ und verspricht auf der Netzseite: „Wir machen es dir so einfach wie möglich, deine eigene Publikation zu starten, zu wachsen und deine Arbeit zu finanzieren.“ 

Steady wurde von den Krautreporter-Gründern Philipp Schwörbel und Sebastian Esser ins Leben gerufen und konzentrierte sich bisher auf das Bezahlschranken-Management von Online-Magazinen. 39 „talentierte Medienmacher:innen“ haben seit Jahresanfang einen redaktionellen Newsletter bei steadyhq.com gestartet. Darunter die feministische Kolumnistin des SZ-Magazin Teresa Bücker, Spiegel-Redakteur Ole Reißmann, Autor Mario Sixtus oder die Inklusions-Lobbyistin und Moderatorin Ninia LaGrande. Daß in dieser Runde der ebenfalls beteiligte CDU-Politiker Ruprecht Polenz als „konservative Stimme“ vorgestellt wird, verdeutlicht die linke Schieflage der Start-Mannschaft.

Der Medienforscher Christopher Buschow sieht im Deutschlandfunk „negative Seiten“, wenn bei der „Vereinzelung von Medienarbeit“ zuvor eingebettete „redaktionelle Strukturen“ wegfallen. So könnten Grundprinzipien wie gegenseitiges Lektorieren und Korrigieren verlorengehen. Buschow sieht hier die neuartigen Anbieter in der Pflicht.

Inhaltliche Vorgaben möchte beispielsweise Steady aber nicht machen, betont Sebastian Esser im Deutschlandfunk. Man mische sich nur ein, wenn gegen die Community-Richtlinien verstoßen werde. Diese verbieten rassistische Inhalte, Haß, Gewaltaufrufe und Verschwörungsmythen. Das erinnert stark an Facebook, Twitter, Youtube und Co. und deren Zensurmaßnahmen aufgrund ihrer jeweiligen Gemeinschaftsstandards.

Auch Karriereportale wie LinkedIn bieten mittlerweile zeitgeistlastige Newsletter an, die dann beispielsweise „Diversity Notes“ heißen. Ein inhaltlich großer Unterschied zu den Mainstream-Kanälen ist zumindest im deutschsprachigen Raum also bisher nicht festzustellen.