© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Glaube muß nicht universalistisch sein
Katholisch und identitär: Julien Langellas Manifest „Vom Protest zur Rückeroberung“
Robert Rielinger

Julien Langella ist Mitbegründer der französischen „Identitären“. Sein Manifest „Vom Protest zur Rückeroberung“ verbindet katholischen Glauben mit ethnozentrischer Politik.Co-Beiträger Andrew Fraser, Protestant und australischer Jura-Emeritus, hat vor kurzem sein Theologie-Studium abgeschlossen. In „ Dissidentische Kriegsberichte“ teilt er Studienerfahrungen mit.

Für Langella ist katholische Universalität mit Dom Gérard Calvet, dem Gründer und ersten Abt der altritualistischen Benediktinerabtei Sainte-Madeleine du Barroux, kein „absurder Relativismus, der stolz auf seine Liebe für alles und gleichzeitig verachtend für alles ist, indem er alles auf die Ebene der Gleichheit stellt“. Er hält es mit Papst Benedikt XVI.: „Der Mensch kann absolut nicht allein die Einheit der Welt herbeiführen, denn die Spaltung wird ihm durch den souveränen Willen Gottes auferlegt.“

Als Exponenten des neuen Gleichheitskultes identifiziert Langella eine nomadische Oligarchie, deren Position er mit Bernard-Henri Lévy verdeutlicht: „Alles, was lokal ist, Baskenmützen, Butter, Dudelsack, kurz gesagt alles Französische, ist uns fremd, sogar abstoßend. (...) Ich mag Rassenmischung, und ich hasse Nationalismus.“

Der Weg des katholischen Lehramtes vom Universalitätsverständnis der Kirchenväter zur Migrationspropaganda eines Papst Franziskus bleibt bei Langella rätselhaft im Sinne einer „Dummheit“, nicht einer möglichen Häresie (er spricht vom „elusive Pope Francis“) – tatsächlich eine für ein Manifest „schwer faßbare“ begriffliche Unschärfe. In einer naturrechtlichen Begründung der Heimatverteidigung als Widerstand gegen „raumfremde Mächte“ mit Carl Schmitt und Dominique Venner bewegt sich das Manifest weiter in der Tradition des katholischen Lehramtes: „Nationen sollten niemals Zeugen des Verschwindens ihrer eigenen Identität werden“ (Benedikt XVI.).

Die historische Verknüpfung katholisch-nationalen Widerstandes mittels einer sprachwissenschaftlich abgeleiteten Analogie des „Hammers“ (Karl Martell) mit dem alttestamentarischen Judas Maccabäus („Hammer“) ist jedoch argumentativ abenteuerlich. Langella nennt keine Quelle, der interessierte Leser wird auch keine finden. Diese mißglückte alttestamentarische Traditionsbegründung des Manifests bleibt verwirrend. 

Andrew Fraser hat in dem Buch einen experimentellen Text geschrieben, der seinen Studiengang, seine Seminar- und Examensarbeiten und Auseinandersetzungen mit Lehrern und Mitstudenten dokumentiert. 

Ausgangshypothese: WASPs (weiße, angelsächsische Protestanten)sind „viel weniger ethnozentrisch als andere Völker; in der Tat scheinen angelsächsische Protestanten der Solidarität innerhalb der Gruppe so gut wie völlig beraubt zu sein. Sie können daher kostenlos ausgebeutet werden durch Mitglieder anderer ethnozentrischerer Gruppen.“

Barth predigte das Gebot der Fremdenliebe

Theologische Anhaltspunkte dafür verortet Fraser in den britischen Evangelikalen des 19. Jahrhunderts oder der Theologie des Schweizers Karl Barth aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts: „Barth war entschlossen zu zeigen, daß die Theologie aller kulturellen Besonderheiten beraubt werden muß, wenn wir die Bedeutung des Wortes und des Bundes in Verkündigungen zwischen Gott und allen Menschen verstehen wollen. Er löste alle ursprünglichen biokulturellen Unterschiede zwischen Fremden und Nachbarn, Außengruppen und Innengruppen auf in den kleinsten gemeinsamen Nenner der ’Menschheit’. Er erklärte dann mit großer Geste, daß ein angeblich göttliches Gebot der Fremdenliebe für alle Christen obligatorisch sei.“

Die Selbsterfahrung der Folgen solcher Theologie im Studium bedeutet für Fraser Denunziation („Rassist“), wiederholte Gremienvorladungen und schließlich ein „suspended for misconduct“ für ein ganzes Jahr. Fraser ist kein „Aktivist“, sondern eckte lediglich mit seinen Seminararbeiten und Diskussionsbeiträgen bei Mitstudenten und Lehrern an. Beispielhaft sei seine Seminararbeit zum „Präterismus“ – einer nahezu vergessenen theologischen Kategorie – angeführt: „Präteristische Pastoren lehren, daß der Alte Bund Israels mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr. ein für allemal beendet wurde. Ein neuer Bund trat in Kraft, in dem die Kirche zum Neuen Israel wurde. Diese Lehre markiert eine Rückkehr zur christlichen Orthodoxie. Viele frühchristliche Schriftsteller – darunter Augustinus, Eusebius, Justin der Märtyrer, Origenes, Tertullian und der jüdisch geborene Bischof Melito von Sardes – interpretierten diese Ereignisse als Gottesurteil über die Juden für den Tod Christi.“ 

Fraser ist nicht bereit, eine solche Ansicht sofort abzulehnen: „Die angelsächsischen Protestanten haben die Lehren der patristischen Schriftsteller zur Judenfrage viel zu lange als Ausdruck gedankenloser Vorurteile abgelehnt.“ Auch Benedikt XVI. sah sich für seine Erinnerung an die Position der Kirchenväter zum alten und neuen Bund 2018 („Gnade und Berufung ohne Reue“) dieser Ablehnung ausgesetzt. 

Frasers „Kriegsberichte“, die juristische Streitlust mit Selbstironie und theologischer Fundierung verbinden, kontrastieren scharf den ideologischen Lehrbetrieb einer globalistisch-protestantischen Theologie mit der Tradition der Kirchenväter, die ethnische Identität als gottgewollte Vielfalt in der christlichen Einheit verstand.

Man muß kein Christ und/oder Identitärer sein, um von der Lektüre Langellas und Frasers zu profitieren. Denn gemäß Walter Benjamins Metapher vom „Zwerg“ Theologie in jedem geschichtsphilosophischen „Schachautomaten“ geben beide hinreichend triftige Belege dafür, daß auch einem weißen identitären geschichtsphilosophischen Entwurf nach wie vor ein theologischer Antrieb innewohnen kann.

Julien Langella: Catholic and Identitarian: From Protest to Reconquest. Arktos Media Ltd, London 2020, broschiert, 338 Seiten, 22,67 Euro