© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

„Propaganda mit Rap“
Musikbranche: Linksradikaler Hip-Hop erobert die Streamingdienste und Schlagzeilen
Gil Barkei

Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein. Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte gezeigt“, heißt es im momentan für Furore sorgenden Solo-Song „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ von Danger Dan, Mitglied der Hip-Hop-Truppe Antilopen Gang (JF 19 und 24/18). Eine Kalaschnikow in die Höhe gestreckt, singt er in dem dazugehörigen Video: „Wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt: Militanz.“ Über eine Million mal wurde der Ende März veröffentlichte Videoclip bereits auf Youtube angeklickt. „Musik und besonders Rap muß wieder politischer werden“, schreibt ein Kommentator. Genau das versuchen linke Musiker und Medien gezielt. 

Schoß sich im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit auf rechte Rapper wie Chris Ares (JF 6/20) ein, ist es seit seinem überraschenden Abgang von „Neuer Deutscher Standard“ ruhiger geworden um patriotischen Hip-Hop, auch wenn Ares’ ehemalige Mitstreiter Prototyp und Primus mittlerweile in Bautzen ihr eigenes Label NDS Records aufgebaut und das Album „Feuer“ herausgebracht haben. Hinter der ersten Reihe der längst bekannten Antifa-nahen Rap-Kombos K.I.Z. und Antilopen Gang hat sich eine Vielzahl linker bis linksradikaler HipHopper in Stellung gebracht, welche die Reichweitenmöglichkeiten von Spotify nutzen, während das rechte Konkurrenz­­angebot von dem Audio-Streamingdienst gelöscht wurde.

Ende Januar erschien das neue Album der Rapperin Antifuchs, die in ihrem bestimmt antikapitalistischen Online-Laden auf Merchandising-Shirts fordert: „Kein Sex mit Nazis“. „Es kommt nicht an auf deine Herkunft, sondern was du tust“, heißt es im Refrain der Single „Back to the Roots“, für deren Musikvideo zahlreiche Aufnahmen von #BLM-Demonstrationen zusammengeschnitten wurden.

Eine der ersten bekannteren Rapperinnen, Sookee, hat sich unterdessen aus dem Musikgeschäft zurückgezogen, weil die bekennende queere Feministin an ihre „Grenzen gekommen ist, was ihre eigene Verwertbarkeit angeht“, wie sie im FAZ-Interview betont. Es sei „kein schöner Zustand, ein Produkt zu sein“ und sich beispielsweise den „Backstagebereich mit Leuten zu teilen, die man eigentlich total ablehnt“. Ihr Ausstieg sei daher „eine Absage an den Kapitalismus“. Die Musikindustrie springe lediglich auf Themen wie Feminismus auf und monetarisiere sie, während Hip-Hop immer noch sexistisch geprägt sei.

Krasse Widersprüche

Die Genres Rap, Rock und Punk miteinander verbinden wollen der Hamburger Swiss, seine Band Die Andern und Hip-Hop-Urgestein Ferris MC. Sie nennen ihre Stücke „Weißer Müll“, „Bullenwagen“ oder „Schwarze Fahne“ und besingen den „schwarzen Block“, „Pflastersteine in Banken“ und „Mollis in Palästen“. Da skandiert das Publikum beim Live-Auftritt doch gern: „Alerta! Alerta! Antifascista!“

Von Straßen-Slang und Videoclip-Optik dem migrantisch geprägten Mainstream-Deutschrap am nächsten kommt der Berliner Rapper Taktikka, der 2020 sein erstes Album „Werte“ herausgebracht hat und eine Brücke zum Umfeld der „Migrantifa“ schlägt. Der Kampfsportler und Musiker gehörte bis zur selbsterklärten Auflösung 2019 zum sogenannten „Jugendwiderstand“ in Berlin-Neukölln, eine vom Verfassungsschutz beobachtete, maoistisch orientierte Gruppierung, die selbst im linksradikalen Milieu umstritten war, da sie auch moderatere, vermeintlich wohlhabende Linke und Israel-Freunde angegriffen, den bewaffneten Kampf des Proletariats propagiert und sich gleichzeitig zu Begriffen wie Volk und Heimat bekannt hatte.

Ausgerechnet vor dem Thälmann-Denkmal in der Hauptstadt hat Taktikka einen Unterstützungsauftritt in einem Video von Vizzion, der eine Art Hool- und Ostdeutschland-Rap von links bietet und sich auf Youtube und Spotify aussagekräftig mit einer Sowjetfahne vermummt. Vizzions Texte handeln von „Klassenhaß“, „Rotfront“ und dem rechten „Todfeind“, wobei er ganz offen „Propaganda mit Rap“ und „Gewalt als Mittel“ preist. Nichtsdestotrotz beinhalten einige Zeilen von Taktikka und Vizzion über Armut, Statussymbole und globale Wirtschaftsmechanismen so manche Wahrheit, die auch rechte Geschmäcker treffen dürfte.

Für die Mainstreammedien ist das allerdings vielleicht ein bißchen zuviel Klartext. Für sie scheint Disarstar besser geeignet zu sein, obwohl auch er von „aufgebohrten Schreckschußwaffen“ und „Richter erschießen“ fabuliert. Trotzdem nennt das BR-Format „Puls Musik“ ihn bereits „Deutschraps Rudi Dutschke“, zeichnet einen „Linksruck im Deutschrap“ und titelt: „Warum Deutschrap sein Album dringend braucht“. Arte „Tracks“ diskutiert mit dem Hamburger, in dessen Video zu „Riot + Robocop“ Antifa-Flaggen eine zentrale Rolle spielen, die Frage, ob „Deutschrap kulturelle Aneignung“ sei. Neben der Zeit, der Berliner Zeitung, Funk und dem NDR greift auch die taz bei der Suche nach Werbegesichtern für das neue Deutschland dankend zu und führt mit Gerrit Falius, so Disarstar bürgerlich, ein Interview über sein Marx-Verständnis und den „krassen Widerspruch: Ich kritisiere den Kapitalismus, und diese Kritik kannst du dir bei Amazon kaufen“. Bei soviel Rühren der Werbetrommel überrascht es nicht, daß sein vergangenen Monat erschienenes fünftes Album „Deutscher Oktober“ auf Platz 5 der Charts eingestiegen ist und der 27jährige sich „langsam wie eine Galionsfigur“ fühlt. An dieser werden Trennlinien deutlich, die (linken) Deutschrap künftig beschäftigen werden: der Kontrast zwischen Gangsterrap und Polit-Rap und zwischen den Vorstellungen aus dem Vorlesungssaal und denen aus den Arbeitervierteln.