© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/21 / 16. April 2021

Der Flaneur
Draußen laufen Actionfilme
Bernd Rademacher

Die Krähen sind in hellster Aufregung. Irgend etwas treibt sie außer sich. Meistens ist es die Anwesenheit eines Raubvogels. Doch heute ist ihr Alarm über den Buchenkronen besonders laut. Gleich drei Mäusebussarde schrauben sich majestätisch durch die Lüfte. Sie ziehen ihre Kreise mal enger, mal weiter; mal schneller, mal bedächtiger.

Da einer der drei größer ist als die anderen beiden, sind es vermutlich ein Weibchen und zwei rivalisierende Männchen. Sie sind erregt und stoßen allerweil ihr typisches Miauen aus. Daher hat der Bussard wohl auch seinen Namen, der im Germanischen „Katzenadler“ bedeutet. 

Minutenlang kann ich das Schauspiel beobachten. Es erinnert an Filme von Luftkämpfen aus dem Ersten Weltkrieg. Wenn sie sich in ihren gegenläufigen Zirkeln begegnen, kommen sie sich so nahe, daß sie sich fast berühren. Dann wandert der Kreisel des Trios außer Sicht. Den Specht läßt das derweil kalt: Er hat keine Zeit zuzuschauen und zimmert unbeirrt weiter.

Zurück im Garten liefern sich Grünfinken und Stieglitze einen wilden Streit.

Dafür auf dem Teich hundert Meter nebenan der nächste frühlingshafte Hormon-Überschuß: Ein Kanada-Ganter verprügelt drei unterlegene Konkurrenten, die sich seiner Gänsedame zu nähern versuchten. Er beißt, tritt und schlägt mit den Flügeln, so daß die jugendlichen Verehrer schreiend das Weite suchen. 

Als es einer hinter seinem Rücken erneut wagt, sich an die Gans heranzumachen, scheucht der „Platzhirsch“ den Gigolo auf den Teich, attackiert ihn aus der Luft und drückt ihn unter Wasser. Mit letzter Not entkommt der verhinderte Liebhaber. Das Objekt der männlichen Begierde verfolgt die Szene ungerührt vom Ufer.

Zurück daheim im Garten liefert sich eine Grünfinkenbande einen wüsten Streit mit einer Stieglitz-Gang um die Meisenknödel-Reste im Baum. Die Natur ist spannender als Netflix und Amazon Prime, man muß die Abenteuer nur erkennen.