© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Scholz’ Schonzeit ist zu Ende
Paul Rosen

Es könnte eng werden für Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Bisher pflegten sich die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD in den Untersuchungsausschüssen gegenseitig zu schonen. Das hieß: Im Maut-Untersuchungsausschuß half die SPD mit, daß der Druck auf Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nicht zu groß wurde. Umgekehrt soll die Union bereit gewesen sein, im Wirecard-Untersuchungsausschuß nicht zu tief nach der Verantwortlichkeit von Olaf Scholz zu graben. Die Vereinbarung wackelt, so daß sich der SPD-Kanzlerkandidat ernsthaft Sorgen machen muß.

Scheuer dagegen ist fein raus. Der Maut-Untersuchungsausschuß hat die Vernehmungen beendet. Derzeit wird der Abschlußbericht erstellt, der kurz im Plenum diskutiert – und danach im Archiv verschwinden wird. Seitdem die CSU auf Scheuer keine Rücksicht mehr nehmen muß, legt ihr Vertreter im Wirecard-Ausschuß, Hans Michelbach, eine Gangart vor, als sei die Große Koalition längst Geschichte. Als ein Beamter des Finanzministeriums gehört wurde, sprach Michelbach von einer „Märchenstunde“. Er habe den Eindruck, der Beamte wolle höhergestellte Personen im Ministerium schützen.

Wirecard gehörte zu den deutschen Vorzeigeunternehmen für die Digitalisierung. Die Regierung schien froh zu sein, daß im Deutschen Aktienindex mit Wirecard wenigstens ein Unternehmen die digitale Zukunftsmusik spielte. Bei dem Konzern handelte es sich in Wirklichkeit um ein betrügerisches Unternehmen, dessen Aktionäre und Gläubiger durch den Zusammenbruch über 20 Milliarden Euro verloren. Michelbach sieht die Verantwortung bei Scholz, dessen Finanzministerium die Aufsicht über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sträflich vernachlässigt habe. Mehr noch: „Zweifelsfrei ist, daß BaFin, Bundesfinanzministerium und Wirtschaftsprüfer EY Schützenhilfe geleistet haben.“ Alle Warnsignale seien „konsequent“ ignoriert worden.

Daß die Finanzaufsicht Betrug in großem Stil nicht oder zu spät bemerkt, ist nicht neu. Der kürzlich von Scholz nach langem Zögern gefeuerte BaFin-Chef Felix Hufeld berichtete jahrelang im Finanzausschuß des Bundestages, warum seine Behörde von diesem oder jenem Skandal wieder nichts wissen konnte. 

Der Versuch des SPD-Obmanns im Wirecard-Ausschuß, Jens Zimmermann, einen Entlastungsangriff für Scholz zu führen und mehr Verantwortung bei dem für die Aufsicht über EY zuständigen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) abzuladen, zündete bisher nicht.

Rettung für Scholz soll der neue BaFin-Chef Mark Branson bringen, bisher Chef der Schweizer Finanzaufsicht. Branson hatte allen Grund, die Schweiz zu verlassen, nachdem seine Aufsicht die Probleme mit der von einem Skandal in den nächsten schlitternden Großbank Credit Suisse nicht in den Griff bekam. Im Finanzausschuß kündigte Branson eine „Aufsicht der Weltklasse“ an. Kommentar von Michelbach: „Das ist nicht Aufsicht der Weltklasse, das ist unterste Kreisklasse.“