© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Da bleibt nichts Wolkiges
Sarrazin über Wagenknecht: „Hier sollten sich Markwirtschaftler und Marxisten einig sein“
Christian Rudolf

Herr Sarrazin, die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht geht mit Linksliberalen hart ins Gericht. Deren Identitätskampf bringt dem kleinen Mann nicht einen Euro und keine soziale Sicherheit. Was hindert Linke daran, zu erkennen, daß der „woke“ Ansatz für Arbeiter oder prekär Beschäftigte keinen Nutzen hat?

Sarrazin: Sahra Wagenknecht und ich haben sehr unterschiedliche ordnungspolitische Leitbilder. Aber sie ist mir trotz oder wegen ihres marxistisch geprägten Weltbildes schon vor zehn Jahren als eine Ökonomin aufgefallen, die sehr klar und auch schonungslos analysieren kann. Da bleibt nichts Wolkiges zurück, und das mißfällt vielen Linken, die vor allem auf einen moralischen Wohlfühl-Effekt setzen. Es ist doch völlig klar, daß sich die Verhältnisse der nicht so starken und vielleicht auch prekär beschäftigten Teilnehmer am Arbeitsmarkt, die häufig auch nicht so gut ausgebildet sind, durch Masseneinwanderung von wenig Qualifizierten nicht verbessern, sondern verschlechtern. Denn es entsteht eine zusätzliche Konkurrenz am Arbeitsmarkt, die den Gleichgewichtslohn für diese Gruppen nach unten drückt. Da sollten sich eigentlich marktwirtschaftlich und marxistisch geschulte Ökonomen einig sein. Das ist im Kern die Dreisatz-Logik der Ökonomie.

Wagenknecht schließt, die rechten Parteien Europas seien die neuen Arbeiterparteien, jedenfalls hinsichtlich ihrer Wählerschaften. „Jedem Linken“, schreibt sie, müßte das „schlaflose Nächte bereiten“.

Sarrazin: Ja, es ist tragisch, daß in Deutschland mittlerweile die AfD in vielen Bundesländern die Partei mit den meisten Arbeiterstimmen ist. Das trifft die SPD, aber auch Die Linke. Und besonders verstörend ist, daß dies den Funktionären dieser beiden Parteien anscheinend ziemlich gleichgültig ist. Dem Arbeitermilieu sind sie jedenfalls weitgehend entwachsen.

Mehr Nation, weniger Zuwanderung, und Flüchtlingshilfe besser in den Heimatregionen, nicht hier bei uns. Fischt Wagenknecht vor der Bundestagswahl nur gekonnt am „rechten Rand“?

Sarrazin: Letztlich ist es der Nationalstaat, auf den sich die Menschen verlassen, und an dessen Institutionen sie sich vertrauensvoll oder auch kritisch wenden, wenn es um existentielle Fragen geht. Das ist nicht die Uno mit ihren Organisationen, nicht die EU und auch nicht „Amnesty International“ oder „Brot für die Welt“. Wenn die Menschen das Gefühl haben, daß ihr Staat sie nicht angemessen vor Gefahren schützt – und dazu zählt eben auch unkontrollierte Masseneinwanderung –, dann verlieren sie Vertrauen. Und dann kann es auch zu Wahlergebnissen kommen, die manche schockieren. Solche Sorgen der Menschen haben mit dem „rechten Rand“ zunächst einmal nichts zu tun. Wir müssen nur dafür sorgen, daß sie nicht dorthin getrieben werden.

Ist Wagenknecht in der falschen Partei?

Sarrazin: Sahra Wagenknecht tut ihrer Partei einen Dienst. Denn sie hat sehr klar aufgeschrieben, welche Positionen Die Linke einnehmen müßte, wenn sie Arbeiterinteressen vertreten will. Das würde sich auch in den Wahlergebnissen positiv niederschlagen.

Auch bei Ihnen fingen die Mißhelligkeiten mit der SPD mit vermeintlich unbotmäßigen Äußerungen an ...

Sarrazin: Wenn ich mir die aktuellen Meinungsumfragen der SPD anschaue, so hat es ihr offenbar bei den Wählern nicht genutzt, daß ich nicht mehr Mitglied bin. Im Unterschied zu mir, der ich zur verrufenen Gruppe der alten weißen Männer zähle, ist Sahra Wagenknecht ein Medienstar. Würde sie aus der Partei gedrängt, so wäre dies für die Wahlchancen der Linkspartei desaströs.