© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Grüße aus Lissabon
Fern der Angstkultur
Stefan Michels

Die beiden hübschen Französinnen am Autoverleih waren die letzten Touristen, die mein Auge erblickte. Das ist bereits eine Woche her. Auf meiner Rundreise durch Nordportugal erwartet mich ein leergefegtes Land. In dem malerischen Bergdorf an der spanischen Grenze bin ich als einziger Fremder ein leichtes Opfer. Gnadenlos werde ich von den Riesenhunden des Ortes in Grund und Boden gebellt. 

Katastrophentouristen haben es nicht leicht. Anfang des Jahres drohte das portugiesische Gesundheitssystem unter der Last der Corona-Epidemie zu kollabieren. Die Regierung verkündete einen harten Lockdown, und die Infektionszahlen fielen fast lotrecht. 

Nun öffnet sich das Land wieder vorsichtig dem Tourismus. In Chaves, wo eine sehenswerte Römerbrücke lockt, bin ich der einzige Gast in der Pension – wie fast überall während meines Urlaubs. 

Die Besitzerin berichtet: „Hier gibt es 40.000 Einwohner und vier Coronafälle.“ Trotzdem herrscht auf der Straße weiterhin Maskenpflicht. Verwaiste Fußgängerzonen und einsame Landstraßen künden allenthalben von den Folgen der verschriebenen Radikalkur. 

„Im Atlantikstädtchen Nazaré treibt der liebe Gott wieder seinen Schabernack mit mir.“

Nach meinem Besuch im Wallfahrtsort Fátima gerate ich in den Wolkenbruch meines Lebens. So entvölkert war die Pilgerstätte, daß der Herr und Mephisto vor lauter Langeweile um meine Seele gewettet haben müssen. Es schüttet vom Himmel, als würde die Feuerwehr den Wasserschlauch auf meine Windschutzscheibe halten.

Mit atemberaubenden 70 km/h fliege ich in den Lenker beißend an den anderen Autofahrern vorbei, die sich mit Warnblinklicht auf den Seitenstreifen gerettet haben. Ha, meine kleine Rache an den flotten Portugiesen, die für meinen Geschmack zu dicht auffahren. 

Im antiken Bergwerk von Tresminas entdecke ich – wieder einmal ganz alleine – einen offengelassenen Stollen. Mit Taschenlampe bewaffnet wage ich mich in den Berg, bis der Mut mich verläßt. 

Nicht, daß Gollum hier noch haust. Im Atlantikstädtchen Nazaré treibt der liebe Gott wieder seinen Schabernack mit mir. Am Ort der weltgrößten surfbaren Welle begrüßt mich spiegelglatte See. Im kleinen Museum blicken zerbrochene Bretter der Surfheroen, die mit leuchtenden Augen ihre Erfahrung beschreiben, auf mich herunter. Eine ganz andere Welt als die heimische Angstkultur. Und schon allein deswegen die Reise wert.