© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Die Tugend des Sparens wird bestraft
Finanzmarkt: Immer mehr Banken und Sparkassen verlangen „Verwahrgebühren“ oder Negativzinsen
Paul Leonhard

Die meisten Deutschen glauben weiterhin: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not!“ Und so stiegen in den vergangenen zwölf Monaten die Spareinlagen der privaten Haushalte um 174 Milliarden Euro auf 2,6 Billionen Euro. Doch diese Tugend wird seit Jahren mit Minizinsen unterhalb der Inflationsrate bestraft. Der Euro-Sparer wird schleichend enteignet, er soll sein Geld lieber schleunigst ausgeben oder in Aktien, Fonds, Immobilien, spekulativen Papieren oder Versicherungen anlegen. So will es die Politik. Und das ist die Konsequenz der EZB-Niedrigzinspolitik.

Rechnet man die Inflation ein, „lohnt“ sich Verschuldung: Für den Staat, die Unternehmen und die Privathaushalte – fürs eigene Auto bis zum eigenen Häuschen. Wer den Euro weiter nicht nur als Tausch- und Zahlungsmittel, sondern als „konservatives“ Wert­aufbewahrungsmittel sieht, wird nun endgültig eines Besseren belehrt: Auch die Commerzbank, wo der Bund seit der Finanzkrise 15 Prozent der Aktien hält, will ab August ab 50.000 Euro ein „Verwahrentgelt“ in Höhe von 0,5 Prozent der Einlagen erheben.

Schon das Sparen fürs Auto wird zum Verlustgeschäft

Das gelte für alle Privatpersonen, die seit dem 1. Juli 2020 dort Kunde sind. Bislang griff das – wie bei der Direktbanktochter Comdirect – erst ab 100.000 Euro. Darunter wurde „der sichere Parkplatz für Ihr Guthaben“ mit 0,00 Prozent „verzinst“. Immerhin sei die „Tagesgeld-Anlage keinen Kursschwankungen ausgesetzt, die Erträge sind vollkommen transparent“, heißt es in der Commerzbank-Werbung. Sprich: Bei uns ist ihr Geld zumindest sicherer als unterm eigenen Kopfkissen.

Wer von den elf Millionen Kunden nun kündigt, hat allerdings immer weniger Alternativen. Den Anfang machte am 30. Oktober 2014 – ausgerechnet am Weltspartag – die Deutsche Skatbank. Als das ostthüringische Genossenschaftsinstitut verkündete, Negativzinsen einzuführen, war der mediale Aufschrei noch klein. Denn betroffen waren nur Direktbankkunden ab drei Millionen Euro Einlage. Inzwischen ist diese Schamgrenze längst gefallen. Einige Banken kassieren ab dem ersten Euro ab, andere wie die Sparda-Banken Berlin und West ab 25.000 Euro. Wer dem nicht zustimme, werde schriftlich „zu einem festgelegten Termin“ gekündigt.

25.000 Euro – das ist der Preis für einen neuen Familien-Golf. Doch manche Bank oder Sparkasse rechnet auch noch das Geld auf dem Girokonto dazu – dann wird auch das Sparen auf den kleinen VW Polo oder Opel Corsa zum offenen Verlustgeschäft. Auch wenn Lebensversicherungen ausgezahlt werden, sollte man genau aufpassen, wie die Konditionen der Hausbank sind. Sonst ist mit der Überweisung bereits eine stattliche Summe verloren. Parallel dazu steigen die Kontoführungsgebühren – Kredit-, Debit- und Girokarten sind immer seltener kostenlos.

Allein im März haben 50 Institute ein „Verwahrentgelt“ neu eingeführt, im Januar und Februar hatten sich jeweils etwa 30 für diesen Negativservice entschieden. Ende März verlangten 420 von 1.300 befragten deutschen Geldinstituten Negativzinsen auf Guthaben ihrer Firmenkunden, 370 für private Guthaben, das hat eine Umfrage des Verbraucherportals Biallo.de ergeben. Etwa 50 würden sogar nur noch einen Freibetrag von 10.000 Euro oder weniger gewähren – das reicht nur noch für einen Dacia Sandero. 21 Geldhäuser kassierten bereits ab dem ersten Euro ab.

Juristisch ist ein „Verwahrungsgeld“ umstritten, wenn Banken schon Kontoführungskosten erheben. Doch die Institute rechtfertigen dies damit, sie sie würden den negativen EZB-Einlagensatz von 0,5 Prozent weiterreichen, den sie selbst bezahlen müssen, wenn sie dort kurzfristig Liquidität parken. Einige Genossenschaftsbanken und Sparkassen vertrauen zudem darauf, daß ihre oft ältere Kundschaft treu bleibt. Laut Biallo.de verlangt die Düsseldorfer PSD Bank Rhein-Ruhr für neu eröffnete Tagesgeldkonten je nach Anlagesumme bis zu einem Prozent Zinsen vom Kunden. Und die „Bank 1 Saar“, die größte Volksbank im Saarland, kassiere ab 10.000 Euro schon mal 0,75 Prozent.

Auch bislang günstige Direktbanken greifen zu

Auch die „1822direkt“, die Onlinetochter der Frankfurter Sparkasse, hat den Freibetrag für Neukunden zum 1. Februar auf 50.000 Euro halbiert. Bei der Consorsbank gebe es „derzeit keine Überlegungen, für Neu- oder Bestandskunden Strafzinsen einzuführen“, beruhigt deren Pressesprecher Axel Hartmann. Aber die Tochter der französischen BNP Paribas verlangt nur für die Debitkarte zwölf und die Visacard 60 Euro jährlich. Der Dispokredit wird mit 7,75 Prozent verzinst.

Die Strafzinsen seien zudem ein lukrativer „Hebel“, um „Finanzprodukte“ an Kontoinhaber zu verkaufen, also „gute Geschäften zu Lasten der Kunden“ zu machen, warnt Horst Biallo, Chef von Biallo. Schließlich gewähre die EZB den Banken seit Ende Oktober 2019 selbst einen Freibetrag in Höhe des Sechsfachen der gesetzlichen Mindestreserve, die sich auf ein Prozent der Kundeneinlagen beläuft. Und zu diesen zählen Tagesgeld sowie Festzinsanlagen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren. Damit scheinen die „Verwahrentgelte“ ein einträgliches Geschäftsmodell geworden zu sein.

Selbst wenn „nur den wohlhabenden Kunden ein Negativzins auferlegt wird, so kann das in der Summe mehr Negativzinsertrag ergeben, als die Bank selbst gegenüber der EZB entrichten muß“, rechnete der frühere Bankenvorstand Claus Steiner im Hamburger Abendblatt vor: Eine Bank, die beispielsweise Kundeneinlagen von zehn Milliarden Euro verwahrt und davon zehn Prozent an die EZB weiterreicht, muß einen Strafzins von 0,5 Prozent bezahlen – aber lediglich für 400 Millionen Euro.

Die anderen 600 Millionen Euro sind aber als das Sechsfache der gesetzlichen Mindestreserve von den Negativzinsen ausgenommen. Damit muß die Bank zwei Millionen Euro Negativzinsen an die EZB zahlen, was nur 20 Euro pro 100.000 Euro Kundeneinlage (0,02 Prozent) entspreche. Das sei im Hinblick auf das Kreditgeschäft eine zu vernachlässigende Größe, so Rechtsanwalt Steiner. Denn mit den restlichen neun Milliarden Euro, die sie als Kredite weiterreiche, erziele die Bank einen dreistelligen Millionenbetrag an Zinserträgen.

Interessant ist auch, daß viele Geldinstitute das Verwahrentgelt beim Girokonto nicht in der Entgeltinformation gemäß Zahlungskontengesetz (ZKG) ausweisen. Während die Verbraucherzentrale das kritisch sieht, verweisen die Sparkassen und Banken auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin): „Ein Verwahrentgelt ist nicht Bestandteil des Bafin-Musters für die Entgeltinformation“, heißt es vom Verband der Volks- und Raiffeisenbanken.

Die Stiftung Warentest empfiehlt auf Basis ihres Vergleichs von 316 Girokonten: „Für ein Girokonto inklusive Girocard und Onlinebuchungen sollte niemand mehr als fünf Euro im Monat oder 60 Euro im Jahr bezahlen.“ Der Vergleich ist seit April auf der Website kostenlos einsehbar. 2022 soll es auch eine behördliche Vergleichsplattform geben, die von der Bafin aufgebaut wird – eine Realverzinsung läßt sich so allerdings nicht wieder herzaubern.

Vergleichsportale für Giro- und Sparkonten:

 www.test.de

 www.biallo.de