© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Jetzt heißt es schnell nachzahlen
Immobilienmarkt: Bundesverfassungsgericht kippt den Berliner Mietendeckel / Keine Mehrheit für bundesweite Lösung?
Paul Leonhard

Aus und vorbei – die abgesenkten Mieten in Wohnungen, die vor 2014 errichtet wurden, steigen wieder. Der Berliner Mietendeckel ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Das hat erwartungsgemäß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden (2 BvF 1/20) und so den Versuch des rot-rot-grünen Senats, Bestandsmieter von der Mietenexplosion abzuschirmen, für nichtig erklärt. Die beteiligten Politiker und deren juristische Berater, die das 2020 in Kraft getretene Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin formulierten, sind blamiert.

Immobilieninvestoren können aufatmen, Mietausfälle in dreistelliger Millionenhöhe wurden verhindert. Immerhin galt die Regelung für 1,5 Millionen Berliner Wohnungen, sie war aber nur für etwa 340.000 praktisch relevant. Doch wer seine Kaltmiete um einige Euro bis mehrere hundert Euro kürzte, hat nun ein Problem: Jetzt heißt es schnell nachzahlen, sonst droht die Kündigung. Aber selbst Mietervereine hatten gewarnt, das eingesparte Geld bis zur Karlsruher Entscheidung auszugeben.

Denn das BVerfG hatte nicht über „Wuchermieten“ in überlaufenen Großstädten zu entscheiden, sondern über ein abstraktes Normenkontrollverfahren, das 284 Bundestagsabgeordnete von Union und FDP auf den Weg gebracht hatten: Durfte der Berliner Senat überhaupt ein solches Gesetz beschließen? Und die Antwort war nicht nur Prädikatsjuristen klar: Nein. Das ist, wegen der Artikel 72 und 74 des Grundgesetzes, eine Bundeskompetenz. Und die entspricht dem Zeitgeist, wie der Plan der Bundesregierung zeigt, unter dem Corona-Deckmantel (Stichwort: Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite) immer mehr Kompetenzen an sich zu entreißen.

Auch in München ist das Angebot knapp und teuer

Besonders pikant: Auch bei der 2015 beschlossenen Mietpreisbremse hat der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene sei nicht mehr zulässig, erst recht nicht mit „statischen und marktunabhängigen Festlegungen“, so das BVerfG. Der Richterspruch zerstört nun auch die letzten Hoffnungen des Volksbegehrens „#6 Jahre Mietenstopp“, das schon 2020 vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof ausgebremst wurde. Dies sei kein guter Tag für Mieter „in allen deutschen Ballungsräumen, in denen der Wohnungsmarkt aus den Fugen geraten ist“, klagte Anna Hanusch von der Münchner Stadtratsfraktion Die Grünen/Rosa Liste. Auch hier lassen sich nun weiter bis zu 900 Euro für eine Ein-Zimmer-Wohnung einnehmen.

Von solchen Mieten ist Berlin noch ein Stück entfernt. Und der Dax-Konzern Vonovia, der mit einst öffentlichen oder gewerkschaftlichen Wohnungsbeständen Rendite erzielt, versprach seinen rund 42.000 Berliner Mietern, auf Nachzahlungen verzichten zu wollen. Die größere Deutsche Wohnen SE (Kursgewinn nach Urteilsverkündung: 3,5 Prozent) erklärte hingegen nur, bei den 116.000 betroffenen Wohnungen „mit größtem sozialen Verantwortungsbewußtsein“ vorgehen zu wollen. Deren große US-Anteilseigner wie BlackRock sorgen sich zwar um „Climate Change“ oder „Inclusion & Diversity“, doch sie sind keine deutschen Sozialromantiker.

Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hofft nun zwar, bis 25. Juni die notwendigen 175.000 Unterschriften zusammenzubekommen. Doch daß private Immobilienfirmen mit einem Bestand von mehr als 3.000 Einheiten tatsächlich gegen Entschädigung enteignet werden, glaubt kaum ein juristischer Experte. Auch ein bundesweiter „Mietendeckel“ scheint illusorisch: Union, FDP und AfD sind dagegen. Und für Grüne, SPD und Linke ist derzeit keine bundesweite Regierungsmehrheit in Sicht.

Dabei könnte das Thema, wie nicht nur die Berliner Demonstrationen zeigen, ein Wahlkampfschlager werden: Laut einer Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey sind 48,9 Prozent der Befragten dafür, daß „eine Bundesregelung beschlossen wird, die regionale Mietendeckel zuläßt“. 11,9 Prozent sagten „eher ja“ – nur 22,9 Prozent wollen das „auf keinen Fall“. Selbst unter Immobilienbesitzern gebe es ein knappe 50,8-Prozent-Mehrheit. Nur 39 Prozent lehnten einen Mietendeckel klar ab. Schließlich hat die Mehrheit der Immobilienbesitzer nur eine Eigentumswohnung oder ein Einfamilienhaus – und das gehört oft noch der Bank.

Aktuell bleibt dem Berliner Senat nur der kleine Spielraum, den die bundesweite Mietpreisbremse vorsieht: Er kann „Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten“ definieren und in diesen für maximal fünf Jahre die Mieten begrenzen. Zudem soll schätzungsweise 40.000 Mietern, die in „wirtschaftlicher Notlage“ stecken, im Wahljahr 2021 mit Darlehen ausgeholfen werden. Mehr Wohnraum bringt all das nicht – dazu müßte mehr und billiger gebaut oder die Zuwanderung begrenzt werden.

 bverfg.de

 mietendeckel.berlin.de

 Kommentar Seite 2