© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

„Rivalität ökonomisch zu Ende denken“
Globalisierung: Ulrich Blum analysiert in seinem aktuellen Buch Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Wirtschaftskriegen / Folgenreiche Machtpolitik
Werner J. Patzelt

Handelskriege, meinte Donald Trump, „sind gut und einfach zu gewinnen“ – vor allem dann, wenn die eigene Handelsbilanz im Minusbereich liegt. Ob das wirklich so einfach ist? Wohl nicht, denn sonst hätte Ulrich Blum nicht gut 900 Seiten allein auf den Text seines Buchs mit dem Titel „Wirtschaftskrieg“ verwenden müssen. Doch gemäß dem Untertitel unternimmt der emeritierte VWL-Professor an der Universität Halle-Wittenberg, was vom einstigen Wirtschaftskrieger im Weißen Haus nicht selten unterlassen wurde: „Rivalität ökonomisch zu Ende denken“.

Als Wirtschaftskrieg wird in Blums materialreichem Band der bewußte Einsatz von geeigneten Mitteln zur Zerstörung bzw. Entwertung von Human-, Sach-, Kultur-, Organisations- und Sozialkapital eines Rivalen verstanden – vorgenommen von Einzelnen, Firmen oder Staaten, und zwar unter Ausklammerung moralischer Bedenken oder Rechtfertigungen. Ausgangspunkte der Analysen sind das vielschichtige Verhältnis von Rivalität und Kooperation zwischen Gruppen von Menschen, desgleichen die Möglichkeiten, dies alles institutionell und staatlich auszugestalten.

Anschließend werden die erforderlichen organisatorischen und materiellen Fähigkeiten sowie die konkreten und mentalen Voraussetzungen zur Führung eines Wirtschaftskriegs behandelt, zudem die in ihm zu erfüllenden Führungs- und Entscheidungsaufgaben. Ausführlich wird die räumliche Dimension von Wirtschaftskriegen beschrieben, sehr systematisch die Rolle samt den Ressourcen von entsprechend kriegführenden Unternehmen und Staaten, und das alles auch bei Cyberkriegen, Hochtechnologiekonflikten und der Zerstörung bisheriger Ordnungsstrukturen.

Viele Teile dieses Buches können als Abrisse wirtschaftsanalytischer Theorien, auch als Fallstudien zu deren Erklärungskraft gelesen werden. Doch noch mehr geht es – ganz im Wortsinn – um Krieg und Kriegsführung. Gehandelt wird von Führungskultur, Führungsprozessen und Einsatzgrundsätzen, von wirtschaftlichen Kriegsmitteln und Waffen, von raumbezogenen Rivalitätsstrategien und von ökonomischen Vernichtungsfeldzügen. Besonders verdienstvoll ist, daß dabei nicht nur auf die kriegstheoretischer Schriften von Carl von Clausewitz zurückgegriffen wird, sondern sehr umfänglich auf die jahrhundertealten chinesischen Klassiker: Sun Zi, Tan Daoji oder Ch’i Chi-kuang. Hier tragen Erfahrungen des Verfassers im Reich der Mitte ihre Früchte.

Eines seiner Ziele besteht im Aufweis, daß das Wirtschaften nicht nur durch dezentrale Steuerung über Märkte oder mittels einer zentralen Steuerung über Bürokratien organisiert werden kann, sondern eben auch durch Gewaltanwendung. Die kann unscheinbar aus Rivalität erwachsen, gewinnt aber leicht Eigendynamik und kann am Ende – in ihrer Erscheinungsform als Wirtschaftskrieg – jene Ordnung zerstören, ohne die keinerlei wohlstandsschaffende Liberalität in Wirtschaft und Gesellschaft mehr möglich ist. Nur Politik kann – wie in anderen Zusammenhängen schon Clausewitz anmerkte – solche eskalierenden Konflikte einhegen.

Das ist zu Zeiten des Turbo- und Raubtierkapitalismus ebenso nötig wie angesichts der – unter stark miteinander verflochtenen Staaten möglich gewordenen – Substituierung offensichtlicher militärischer Kriege durch weniger offensichtliche Wirtschaftskriege. Insofern bringt dieser Band Aufklärung über jene höchst folgenreiche Machtpolitik, die sich im von Intellektuellen gern übersprungenen Wirtschaftsteil von Zeitungen niederschlägt.

Entlang von drei Fragestellungen strukturiert Blum die meisten seiner Kapitel. Wie entstehen Wirtschaftskriege, wie laufen sie ab, und wie enden sie? Welche Erkenntnisse über die Dynamiken und Risiken von Rivalität bietet eine umfassende Analyse von Wirtschaftskriegen? Und nicht zuletzt: Wie soll – und kann effizient – ein Wirtschaftskrieg geführt werden? Tatsächlich enden zehn der zwölf Kapitel ausdrücklich mit lehrreichen Handlungsempfehlungen. Leider kann hier kein Eindruck vermittelt werden vom umfangreichen geschichtlichen und empirischen Material, das die vermittelten Einsichten trägt.

Dem Interessierten läßt sich nur versichern, daß ihn dieses Buch – mitsamt seinen theoriegeschichtlichen Exkursen – wirklich bereichern wird. Doch er sollte sich mit der Bereitschaft wappnen, übergreifende Systematisierungen selbst zu leisten, denn sonst mag er an manchem Baum dieses Waldes jene Orientierung verlieren, die er zum Erkennen und Verstehen gerade laufender Wirtschaftskriege bräuchte.






Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist emeritierter Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaft an der TU Dresden.

 wjpatzelt.de/

Ulrich Blum: Wirtschaftskrieg. Rivalität ökonomisch zu Ende denken. Gabler-Verlag, Wiesbaden 2020, gebunden, 1.068 Seiten, 74,99 Euro