© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Der Mars-Helikopter hat erstmals abgehoben“ – die letzten Worte des Deutschlandfunk-Moderators, gesprochen vor den Nachrichten am Montag nachmittag, werden dereinst ein Datum der Menschheitsgeschichte sein. Sie hätten wohl auch David Bowie gefallen, auf dessen prophetische Songs „Life on Mars“ oder „Space Oddity“ ich damals – kurz nach dem Mauerfall bei Bowies Auftritt in der Konzerthalle „Huxleys Neue Welt“ – vergeblich gewartet hatte. Einzig den alten Hit „Heroes“ spielte er, als Reminiszenz an seine Berliner Zeit. Da dachte ich sofort an die mahnenden Worte Bertolt Brechts aus dem Stück „Leben des Galilei“: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“


Also zurück in die Gegenwart: Nur eine Stunde vor den Nachrichten registriere ich in einer Seitenstraße, wie eine „Fachkraft“ an der Gegensprechanlage der Klingelschilder zu einem wildfremden Kunden sagt: „Hier ist Amazon. Bist du da?“ Offenbar ist diese direkte Ansprache notwendig, da keine weitere Zeit für Höflichkeitsformeln bleibt. Schließlich ist die nächste Mission von Amazon-Chef Jeff Bezos bereits die reguläre Mondlandung. Für die Erdlinge allerdings gibt es noch den Marktplatz Ebay, dessen einstiger Europa-Chef ehedem mein Nachbar war. Hier, vor der Haustür, inszeniert das reale Leben derweil noch immer die authentischsten Werbespots. So jüngst, als ein Familienvater, dem ich ein Paar Schlittschuhe verkaufe, wie auf Knopfdruck begeistert ausruft: „Ich liebe Ebay!“ Problematischer ist es schon beim neugeschaffenen Konzern Vinted für Second-Hand-Mode. Wer sich dort registrieren will, kommt nicht umhin, sich dem „Tracking“ Tausender Daten-Kraken zu unterwerfen. Ähnlich dubios wirkt die jüngste Gewinnaktion der Biermarke Radeberger, die dafür wirbt, den Zahlencode in den Kronkorken auf der Internetseite des Bierproduzenten einzugeben – doch der Kunde sucht dort vergeblich nach den Gewinnpreisen. Das einzige, was verheißen wird, ist die Teilnahme mit allen persönlichen Angaben unter dem Motto: „Sammelwochen“ – als ginge es der Exportbrauerei nur darum, die persönlichen Daten abzufischen. Diese globale Maschinerie, gewissermaßen ein Logarithmus des Algorithmus, führt mich zu dem Fazit: „Big Tech brings Big Bro-

ther / Back right now each other.“ Die erste, die darüber lacht, ist im Hausflur meine neue Nachbarin, gerade aus New York kommend, die für ein an die Börse strebendes Start-up arbeitet, das einen Blockchain-basierten Identitätsausweis entwickelt, ohne zusätzliche persönliche Daten preiszugeben.