© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Aufbegehren gegen Konventionen
Popart: Das Kölner Museum Ludwig präsentiert Andy Warhol in einer großen Ausstellung als Vertreter einer diversen, queeren Gegenkultur
Paul Leonhard

Bunte Siebdrucke eines verfremdeten Porträts von Marilyn Monroe, endlose Wiederholungen von Suppendosen, Coca-Cola-Flaschen – das sind Motive, die jeder kennt. Die einzigartige Kunst der amerikanischen Popikone Andy Warhol (1928–1987) hat eine ganze Generation geprägt. Inzwischen ist aber eine neue herangewachsen, haben in der Gesellschaft Minderheiten das Sagen, die sich betont queer darstellen und – stärker als es jegliche Kunst je getan hat – mit kulturellen bürgerlichen Traditionen brechen, alle überkommenen Werte aufheben.

Diesem Trend folgt auch das Museum Ludwig in Köln in der jetzt mit dreimonatiger Verspätung eröffneten Ausstellung „Andy Warhol Now“, in der der Künstler als „schüchterner schwuler Mann aus einer Einwandererfamilie“ beschrieben wird, der „einen ganz eigenen Weg mit seiner Kunst einschlug, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat“.

Er leidet an seinem Äußeren

Homosexualität, marginalisierter Außenseiter, weil Migrantenkind und tiefe Religiosität sind also die drei Kennzeichen, mit denen Museumsdirektor Yilmaz Dziewior für seinen großen Künstler wirbt. Deutlicher kann er nicht herausstellen, daß sich das Kölner Museum, das immerhin die größte Popart-Sammlung der Welt außerhalb der USA sein eigen nennt, sich nicht nur im Umbruch befindet, sondern auch handfeste Probleme hat. Denn es wird von lautstark agierenden Aktivisten angegriffen, die zwar nichts tun, um den Sammlungsbestand zu vergrößern, aber diesen kritisieren: Die Einrichtung sei zu stark auf das weiße Amerika fixiert und zeige zu wenig Arbeiten farbiger Künstler. Museumskuratorin Janice Mitchel beklagt beispielsweise, daß im Sammlungsbestand hauptsächlich Werke weißer, männlicher Künstler vorzufinden, „post-koloniale, feministische und queere Perspektiven nicht oder kaum“ vorhanden seien. Das Haus müsse mehr darstellen, warum Menschen politisch aktiv werden, welche Bedürfnisse unterschiedliche Gruppen haben, wie man sich mit ihnen beschäftigt, wie sie in der US-Gesellschaft wahrgenommen und dargestellt werden.

Vor diesem Grund ist zu verstehen, daß die Kuratoren in der ersten Andy-Warhol-Retrospektive seit 30 Jahren ihren Fokus auf den „queeren“ Warhol legen, der bereits in den 1950er Jahren explizit homoerotische Bilder und Zeichnungen anfertigt, und auf dessen kulturelle Herkunft als jüngster Sohn einer aus den slowakischen Karpaten in die USA eingewanderten, tief religiösen, armen Bauernfamilie.

Allerdings ging Warhol selbst mit seiner Homosexualität und seinem Glauben höchst privat um. Seine Zuneigung zu Männern thematisierte er außerhalb seines Werkes nicht in der Öffentlichkeit, verleugnete sie aber auch nicht, so daß es irgendwie schon kühn ist, ihn jetzt zum Symbol „einer diversen, queeren Gegenkultur“ zu küren, als deren Vertreter er sich zu Lebzeiten nie gefühlt hat. Gleiches trifft für seine Religiosität zu, die sich zwar in seinem Früh- wie Spätwerk widerspiegelt, aber gleichwohl für ihn nie ein öffentliches Thema war.

Die Kuratoren bieten den Besuchern eine opulente Schau mit mehr als hundert Objekten, darunter eine Fülle hochkarätiger Leihgaben, auch aus dem Familienbesitz von Warhols Familie, die erstmals den Weg nach Europa gefunden haben und selbst für Warhol-Kenner Überraschungen beinhalten dürften. Dazu zählt auch der Eintrag von Warhols Eltern im Einwanderungsregister der USA. Chronologisch folgt die Exposition den einzelnen Lebens- und Schaffensetappen. Dabei setzt sie früher ein als frühere Ausstellungen: mit Werken Warhols, die noch in seiner Pittsburgher Zeit entstanden sind, als Warhol von 1945 bis 1949 am Carnegie Institute of Technology Malerei und Design studierte und lernte, alltägliche Dinge prominent ins Licht zu setzen und zu verkaufen, was später zum Markenzeichen seiner Kunst werden sollte.

Am Beginn stehen die Arbeiten eines introvertierten, schüchternen jungen Mannes, dessen Kindheit geprägt war durch eine Erkrankung an Veitstanz im Alter von acht Jahren und eine seltene Pigmentstörung, die dafür sorgt, daß ihn viele für einen Albino halten. Insbesondere die Selbstporträts vermitteln das Bild eines verletzlichen, unsicheren Menschen, der an seinem Äußeren leidet und als persönlichen Ausweg aus dieser Selbstkrise beginnt, sein eigenes Auftreten und Aussehen als Aufbegehren gegen Konventionen und gesellschaftliche Normen zu inszenieren.

„Diese frühen Zeichnungen fokussieren auf den jungen, schwulen, queeren Warhol“, findet Museumschef Dziewior, der aus den in New York, wohin Warhol nach seinem Studienabschluß gezogen war, entstandenen Arbeiten der 1950er Jahre „den sehr begehrenden Blick“ des Künstlers auf die von ihm gemalten jungen Männer herausliest. Wichtig sei ihm auch gewesen, so Dziewior, dem Besucher deutlich zu machen, in welchem geistigen Umfeld diese Zeichnungen entstanden sind. Er verweist auf einen in die Schau integrierten Artikel des Times-Magazins von 1966, in dem zwar relativ neutral über die in der New Yorker Kunst- und Kulturszene weitverbreitete Homosexualität berichtet wird, der aber mit dem Satz endet: „Aber über eines müssen wir uns klar sein, Homosexualität ist eine wirklich schwere Krankheit.“

Den frühen Zeichnungen, denen ein ganzer Raum gewidmet ist, folgen Werke aus jenen Jahren, in denen Warhol bereits einer der bekanntesten und am besten bezahlten Grafikdesigner der USA ist. Das ausgestellte Werk „Dollar 199 Television“ von 1961 steht beispielhaft für seine Beschäftigung mit Elementen der Alltagskultur. Seine „One Hundred Campbell’s-Soup-Cans“ von 1962 hat Warhol noch mit Schablonen auf die Leinwand gebracht. Ein Jahr später sagt er jenen Satz, der als Credo seiner Kunst aufgefaßt wird: „Wenn du mit deiner Arbeit kein Geld machen kannst, dann mußt du sagen, daß es Kunst ist; und wenn du Geld machst, sagst du, daß es etwas ganz anderes ist.“

1963 ensteht der Film „Sleep“, in dem er seinen damaligen Liebhaber, den Dichter John Giorno, fünf Stunden lang mit der Kamera im Schlaf beobachtet und auch durch Zusammenschnitte und Zeitlupensequenzen „quasi ein abstraktes Gemälde in Licht und Schatten entsteht“, wie es Kurator Stephan Diederich formuliert. Gegenübergesetzt ist diesem das Porträt von Liz Taylor. Das Prinzip der seriellen Reihung von Alltagsobjekten wird zum Markenzeichen Warhols, der ab 1962 den schnellen Fotosiebdruck entdeckt und fortan die Welt mit Werken überschwemmt, die in seiner Factory entstehen.

Das Attentat auf ihn überlebt er nur knapp

Der nächste Raum konzentriert sich auf die Katastrophenbilder Warhols, in denen er Flugzeugabstürze, aus brennenden Häusern springende Menschen, Attentate, elektrische Stühle thematisiert. Das monumentale „129 Die in Jet“ von 1962 ist sogar noch gemalt. Berühmt seine, in ihrer dreiteiligen Form an einen christlichen Altar mit Märtyrerdarstellung erinnernde Porträtfolge von Jacky Kennedy kurz nach dem Attentat. Als Vorlage nimmt Warhol Pressefotos, die er durch kleine Retuschen verzerrt, also technisch manipuliert und so einen Reiz für den Betrachter schafft.

Es folgt ein „atmosphärischer Kurzdurchlauf“ (Diederich) durch die äußerst produktiven Jahre 1964 bis 1967 der Silver-Factory, in der Warhol viel experimentierte, für sich die Grenzen von Malerei, Film, Bühne, Performance, Musik, Fotografie auslotete.

Ein jähes Ende finden jene Jahre, als die männerhassende Feministin Valerie Solanas dem 39jährigen Warhol am 3. Juni 1968 mehrfach in die Brust schießt und dieser nur dank einer Notoperation knapp überlebt. Die Kölner Ausstellung zeigt ein Foto, auf dem Warhol, den Pullover hochgezogen, in der Tradition der christlichen Ikonographie seine Narben präsentiert. In seinem künstlerischen Schaffen konzentriert sich Warhol wieder auf seine Bilder und die Siebdrucke, beginnend mit einem verfremdeten Porträt des chinesischen Volksführers Mao, den er schminkt und rote Lippen verpaßt. Ein weiterer Raum ist Warhols freier, abstrakter Malerei gewidmet. Zu sehen ist auch das einst die Öffentlichkeit verstörende Werk „Oxidation Paintings“, das entstand, indem Besucher und Helfer auf eine präparierte Leinwand urinierten.

Besonders wichtig ist den Kuratoren die Serie „Ladies and Gentlemen“, das Warhol zwar als Auftragswerk für den italienischen Kunsthändler Luciano Anselmino schuf, in dem er Drag Queens aus seinem New Yorker Freundeskreis porträtierte. Diese Werke müssen nun als Beweis dafür herhalten, daß Warhol ein „queerer Künstler“ war, „der Offenheit und Vielfalt als grundlegende und lebensnotwenige Faktoren einer digitalen Gesellschaft postulierte“ und Warhol immer wieder Themen aufgegriffen habe, „die noch oder gerade heute eine hohe Aktualität aufweisen“. Schließlich mache der Künstler hier „afroamerican and latinx trans“-Personen auf Leinwand sichtbar. Aber, und hier sichert sich Museumschef Dziewior gegen mögliche Angriffe der Szene ab, berge dieses Thema eine Problematik: Denn Warhol „gehörte nicht zu dieser Gruppe und profitierte also von dem Underground-Kapital oder Underground-Mehrwert, den diese Gruppe hat“. Das Warhol sich dagegen als Transvestit, geschminkt und mit Perücke geschmückt, ablichten ließ, wird ihm gestattet. Die Aufnahmen sind ebenso zu sehen wie die zahlreichen von ihm gestalteten Schallplattencover, denen ein ganzer Raum gewidmet ist.

Den Ausstellungsrundgang beschließen Camouflagearbeiten, darunter eine Darstellung der Freiheitsstatue, womit sich der Kreis zum Eintrag von Warhols Eltern im Einwanderungsbuch schließt. Alles in allem eine Schau, die „nicht nur neue Erkenntnisse verspricht, sondern auch eine Übung in kritischer Betrachtung ist“, wie Isabel Pfeiffer-Poensgen, Kulturministerin Nordrhein-Westfalens, versichert.

Die Andy-Warhol-Ausstellung ist bis zum 13. Juni im Kölner Museum Ludwig, Hein­rich-Böll-Platz, mit neg­a­tiv­en Coro­nat­est täglich außer montags von 10 bis 20 Uhr, Fr./Sa. bis 22 Uhr, zu sehen. Telefon: 02 21 / 221 261 65

Der Katalog (224 Seiten, 200 Farbabbildungen) kostet im Museum 30 Euro.

 www.museum-ludwig.de