© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Wenn tote weiße Spanner von den Wänden blicken
Cancel Culture im Historischen Seminar
(dg)

Dank einiger Koryphäen, die wie Dahlmann, Droysen, Mommsen, Waitz und Treitschke im 19. Jahrhundert an der Kieler Universität lehrten, schaut das dortige Historische Seminar, das 2022 sein 150jähriges Jubiläum feiert, auf eine stolze Tradition zurück. Von der heute nicht nur in Kiel wenig übriggeblieben ist, nachdem Volk und Nation heute als Sinnstiftungsressourcen zunehmend obsolet wurden und die Historikerzunft daher im politischen Abseits spielen muß. Da erstaunt es nicht, wenn eine jüngere Generation kaum mehr die virtuelle Gegenwart bedeutenderer Vorgänger erträgt. So geschehen in Kiel, wo die „Ahnengalerie“ im Flur des Historischen Seminars ein Opfer der „Cancel Culture“ wurde. Weil die Mit-Direktorinnen des Seminars sich von „alten weißen Männern“, deren Porträts dort hingen, nicht nur „nicht repräsentiert“, sondern sich durch deren „Blicke sogar beobachtet fühlten“, wie der Kieler Emeritus Werner Paravicini, zuletzt Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris, so empört wie belustigt kolportiert (FAZ vom 1. April). Der Mediävist Oliver Auge hingegen begrüßt die Säuberung, denn die „Ahnengalerie“ sei allein schon wegen der Bildlegenden zu vielen „problematischen Persönlichkeiten“, zumal denen, die zwischen 1933 und 1945 lehrten, „nicht mehr zeitgemäß“ gewesen (Kieler Nachrichten vom 10. April). 


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