© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Ein brutales Fanal der Unterdrückung
Bozner „Blutsonntag“ vor 100 Jahren: Ein politischer Mord italienischer Faschisten zur Frühjahrsmesse an der Etsch wirft seine Schatten voraus
Margareth Lun

Es war ein Ereignis, das Angst machte. Denn es war nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern auch ein Fanal dafür, was auf Südtirol in den nächsten Jahrzehnten unter italienischer Herrschaft zukommen sollte.

Führen wir uns vor Augen, daß der Erste Weltkrieg zu diesem Zeitpunkt erst zweieinhalb Jahre zu Ende war und daß Südtirol erst seit nicht einmal einem halben Jahr offiziell zu Italien gehörte. 

Die feierliche Auftaktveranstaltung der Bozner Frühjahrsmesse am 24. April 1921 mit ihrem kulturell eindeutig der deutschen Kultur zuzuordnenden Trachtenumzug und Blasmusik war den Faschisten natürlich ein Dorn im Auge − schließlich sollte gerade Bozen, wo über 90 Prozent der Einwohner deutsch sprachen, zu einer „Città italianissima“, also einer besonders italienischen Stadt umgepolt werden. Außerdem fand genau am selben Tag in Nordtirol die Volksabstimmung über den Anschluß an die Weimarer Republik statt, bei der übrigens 98,8 Prozent der Nordtiroler für das Deutsche Reich votierten. 

Die Täter entgingen der italienischen Strafverfolgung

Obwohl wenige Tage vor der Veranstaltung das Zentralkomitee der Fasci in Mailand regelrecht zu einer „Strafexpedition“ in Bozen aufforderte und sich Benito Mussolini in seinem Hausblatt Il Popolo d’Italia höchstpersönlich mit dunklen Drohungen gegen den Bozner Messeumzug ereiferte, ergriffen die zuständigen italienischen Behörden keine Sicherheitsmaßnahmen, und so nahm das Unglück seinen Lauf.

Am Obstmarkt überfielen über 400 mehrheitlich mit der Bahn aus dem Süden angereiste bewaffnete Faschisten den Trachtenumzug, sie schlugen mit Knüppeln brutal auf harmlose Menschen ein, es fielen Pistolenschüsse, und es wurden sogar Handgranaten geworfen. Es herrschte Panikstimmung. Und da passierte es: Als der 36jährige Lehrer Franz Innerhofer, Trommler bei der Musikkapelle Marling, einen neunjährigen Schüler im Ansitz Stillendorf am Eck gegenüber der Marienklinik in Sicherheit bringen wollte, wurde er im Haus-eingang von hinten erschossen. 53 weitere Südtiroler wurden zum Teil schwer verletzt. Der Sägewerker Johann Baptist Daprà erlag einige Monate nach dem Überfall seinen schweren Verletzungen durch Granatensplitter.

Als endlich das italienische Militär einschritt, beschränkte es sich lediglich darauf, die Aggressoren zum Bahnhof zu eskortieren, wo sie unbehelligt wieder abreisen konnten. Der damalige italienische Ministerpräsident Giovanni Giolitti ordnete zwar die unverzügliche Ausforschung der Täter an, aber schlußendlich wurde kein Faschist jemals für den Überfall auf den Trachtenumzug oder die Ermordung Innerhofers gerichtlich belangt. Es gab lediglich eine halbherzige Verhaftung von zwei Bozner Faschisten, die jedoch wenige Tage später wieder freigelassen wurden, nachdem Mussolini damit gedroht hatte, am 1. Mai in Bozen mit 2.000 Faschisten aufzumarschieren, um sie zu befreien.

Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des in Bozen hartnäckig kursierenden Gerüchts, beim Innerhofer-Mörder handle es sich um Lino Mariotti, bekanntes Mitglied der Squadristen, der paramilitärischen Schwarzhemden der Faschistenbewegung, läßt sich nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht beantworten. Anläßlich des Todes Mariottis 1938 wurden seine besonderen „Verdienste“ durch eine pompöse Trauerfeier gewürdigt, an der die faschistische Parteispitze geschlossen teilnahm.

Die Lethargie der italienischen Sicherheitskräfte zeigte den Faschisten jedenfalls deutlich, daß auch bei einem Staatsstreich kaum Widerstand von seiten des demokratischen Italien zu erwarten war. Für die Südtiroler war indes von nun an klar, daß sie keine Rechtssicherheit mehr hatten und sie den Auswüchsen des italienischen Chauvinismus hilflos ausgeliefert waren.