© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Mehr Windräder und weniger Würstchen
Das Umweltbundesamt im unablässigen Kampf für das Klima und gegen die Langeweile / Auswirkungen von Corona?
Volker Kempf

Man schaut auf den Sekundenzeiger, bis er in sechzig Schritten weiter geht. Eine Minute, die kaum vergehen wollte. „Der Mensch ist das Geschöpf, das sich langweilt“, schrieb Werner Sombart 1938 tiefsinnig in seiner geistesgeschichtlichen Anthropologie. Man muß sich zu etwas berufen fühlen, dann verfließt die Zeit. Aber wo sollten in einer Überflußgesellschaft noch existentielle Herausforderungen liegen?

Den Zivilisationsmüll aufsammeln wäre eine konkrete Wohltat. Aber das bleibt langweilig. Ein Müllregister wird nicht veröffentlicht, dabei wäre ein solches in einer Gemeinde abzuarbeiten ein echter Fortschritt. Große Herausforderungen liegen nicht auf der Straße, Wissenschaftler präsentieren sie: Das Weltklima droht sich zu erwärmen. Was wurde nicht alles unternommen, um Deutschland – 0,24 Prozent der globalen Landfläche und 1,06 Prozent der Weltbevölkerung – einen riesigen Beitrag zur Klimarettung abzuringen?

Das Dessauer Umweltbundesamt (UBA) teilt mit, seit 1990 seien die Klimagase in CO2-Äquivalent hierzulande um über 40 Prozent zurückgegangen. Im Lockdown-Jahr 2020 wird sogar ein Rückgang um 8,7 Prozent ausgewiesen – ein Rekord, der alle Vorgaben übererfüllt. Der CO2-Ausstoß im Weltmaßstab ging sogar um 9,4 Prozent gegenüber 2019 zurück. Davon gehe, man ahnt es schon, ein Drittel auf das Konto der Corona-Maßnahmen. Weniger Produktion, Handel, Feste, Freizeitaktivitäten, Tourismus, Reisen, Besuche – die Leute hockten einfach daheim.

„Erneuerbare Energie und die CO2-Bepreisung“

Der Verkehrssektor hat laut „Umweltmonitor 2020“ den höchsten Anteil am Rückgang des menschengemachten (anthropogen) erzeugten CO2-Ausstoßes. Auch Strukturveränderungen wirkten sich aus. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) verweist dabei auf den deutschen Kohleausstieg. „Wir sehen, klimapolitische Instrumente beginnen zu wirken, insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energie und die CO2-Bepreisung“, behauptet der ihr faktisch unterstellte UBA-Präsident Dirk Messner. Global war es wohl eher die Konjunkturdelle in China, Indien und den USA.

Das auch für Bau zuständige Innenministerium von Horst Seehofer (CSU) gibt sich ebenfalls „grün“: Ein Sofortprogramm soll binnen drei Monaten Vorschläge für Maßnahmen im Bausektor für die kommenden Jahre benennen, die auf das Ziel einer Optimierung des Klimaschutzes ausgerichtet sind. Der wiedergewählte grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, will im Ländle tausend neue Windräder errichten lassen. Daß sich das wegen der Windverhältnisse aber nur im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb lohnt, thematisiert das UBA nicht.

Die Corona-Maßnahmen könnten bei Klimaschützern Langeweile aufkommen lassen, weil sie nebenbei erledigen, wofür sie sich bisher so emsig einsetzen mußten. Ein Lockdown-Ende wird aber schon am Horizont gesehen, da gelte es am Thema dranzubleiben. Anderen Umweltbereichen brachte Corona nichts. Der Indikator für Artenvielfalt und Landschaftsqualität hat sich laut UBA in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert. Sicher wurde auch für die „Erneuerbaren Energien“ Landschaft verbraucht. Jede Maßnahme zum Schutz eines Bereiches zeitigt woanders Nebenwirkungen. Die Landschaftsbeeinträchtigung der Windindustrie ist offensichtlich, auch die Solarfelder sind nicht zu übersehen.

Es gibt nach UBA-Angaben ein weiteres Sorgenkind: den Stickstoffeintrag aus der Landwirtschaft. Das führe zur Nährstoffbelastung der Gewässer. Positiv wirke sich hier der Ausbau der Ökolandwirtschaft aus. Vor diesem Hintergrund spricht das UBA sogar eine politische Empfehlung aus: Statt einer pauschalisierten Flächenprämie über die EU-Agrarförderung sollten ökologische Leistungen wie Gewässerrandstreifen und eine ökologische Bewirtschaftung honoriert werden. Ansonsten sei für weitere Fortschritte zur Vermeidung von Stickstoffeinträgen ein geringerer Fleischkonsum hilfreich.

Das gilt sicher auch für die eigene Gesundheit und den Tierschutz. Die Massenproduktion von Fleisch kann nur durch Kompromisse zu Lasten der Tiere erzielt werden. Aber auch hier brachten die geschlossenen Gasthäuser offenbar Einschnitte bei Haxe, Schnitzel und Würstchen: Der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch ging um 750 Gramm auf 57,3 Kilogramm zurück. Schwein wurde 940 Gramm weniger gegessen, bei Rind und Kalb waren es 40 Gramm. Der Geflügelfleischverzehr nahm dagegen um 180 Gramm zu, meldete das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL).

„Umweltmonitor 2020“:  www.umweltbundesamt.de