© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/21 / 23. April 2021

Der Westen muß sich warm anziehen
Mixed Martial Arts: Afrikanische und muslimische Kampfsportler rütteln die Szene durcheinander
Gil Barkei

Schwarze haben über Jahrzehnte den Boxsport mitgeprägt, insbesondere auf Kuba, in Großbritannien und allen voran in den USA. Joe Louis, Sugar Ray Robinson, Muhammad Ali, Mike Tyson und Floyd Mayweather Jr. sind Legenden. 

Auch in anderen Kampfsportarten haben schwarze Athleten ihre Spuren hinterlassen. Der surinamisch-niederländische Kickboxer Gilbert „The Bullterrier“ Ballantine gewann in den Achtzigern und Neunzigern mehrere Weltmeistertitel. Der Franzose mit afrikanischen Wurzeln Joel Cezar gehörte neben der 2013 verstorbenen niederländischen Muay-Thai-Ikone Ramon Dekkers zu den ersten Europäern, die erfolgreich in Thailand kämpften. 

Unvergessen auch die schwarzen K-1-Kämpfer Ernesto Hoost, Remy Bonjasky und Alistair Overeem, die in den Nuller-Jahren regelmäßig für die Niederlande das Finale des in Asien populären Turniers erreichten und gewannen. In der Szene gilt Holland schon lange als eine „Striking“-Nation. Overeem machte sich zudem als Schwergewicht einen Namen in der Ultimate Fighting Championship (UFC), der weltweit größten Organisation für Mixed-Martial-Arts-Events (JF 44/20). 

Genau dort findet derzeit eine kleine Zäsur statt. Kamen schwarze Champions früher aus Europa oder Amerika, mischen nun Afrikaner die Welt der Kampfkünste auf. Seit dem Sieg des Kameruners Francis Ngannou über den US-Amerikaner (mit kroatischen Wurzeln) Stipe Miocic Ende März kommen drei UFC-Weltmeister vom schwarzen Kontinent. Denn neben Schwergewicht Ngannou hält der Nigerianer Israel Adesanya den Gürtel im Mittelgewicht und sein Landsmann Kamaru Usman den Titel im Weltergewicht.

Die neue Fighter-Generation bekennt sich selbstbewußt zu ihrer Herkunft: Anstatt unter den Flaggen der Staaten einzulaufen, in denen ihre Gyms stehen oder gegebenenfalls eine zweite Staatsbürgerschaft vorliegt, stehen sie zu den Fahnen ihrer Heimatländer. Und Ngannou, der als Kind in einer Sandmine arbeiten mußte, erscheint schon mal zur Vor-Kampf-Pressekonferenz im traditionellen afrikanischen Gewand. 

Hungrig auf sozialen Aufstieg

Auch in anderen MMA- und Thaibox-Ligen sorgen afrikanische Kämpfer für Furore. So schlug in der One Championship der Senegalese Oumar „Reug Reug“ Kane den in Kamerun geborenen, aber Hongkong repräsentierenden Alain Ngalani k.o.

Steigen die westafrikanischen Recken in den Octagon, sitzen Hunderttausende Landsleute daheim vor den Fernsehgeräten und fiebern in oftmals ärmlichen Verhältnissen mit. Längst haben die Erfolge zu einem gewissen MMA-Boom in den Heimatländern geführt, die mit dem Gambischen Wrestling eine in der westlichen Welt kaum beachtete Kampfsport-Tradition besitzen. Das einheimisch „Boreh“ oder „Laamb“ genannte Ringen ist in Gambia, dem Senegal und in Teilen Nigers und Nigerias Volkssport und reicht bis ins 11. Jahrhundert zurück.

Nachwuchskämpfer verfolgen nun aufmerksam die Begeisterung des Publikums und die Verdienstmöglichkeiten ihrer Idole in Übersee. Erinnerungen an zahlreiche afrikanische Fußballer wie Didier Drogba werden wach, die mit dem Sport den sozialen Aufstieg schafften. 

Neben finanzielle Aspekte tritt ein Gefühl des Stolzes und der kollektiven Wahrnehmung. „Congratulations Africa. Now you have three UFC-Champions“, schrieb MMA-Superstar Khabib Nurmagomedov auf Twitter anerkennend nach Ngannous Triumph. Dabei ist Nurmagomedov selbst das Symbol für eine weitere Gruppe, die innerhalb des Kampfsports rasant an Bedeutung gewinnt: muslimische Kämpfer aus Nord­afrika, aber vor allem aus den (russischen) Kaukasusrepubliken.

Der Dagestaner hat in seiner Ringen-verrückten Heimat einen Hype ausgelöst, der viele Jugendliche auf die Matten und an die Sandsäcke treibt – den Traum einer internationalen einträglichen Profi-Karriere vor Augen und die strenge Förderung durch Eltern und Sportschulen im Rücken. Nurmagomedov, Zabit Magomedsharipov oder Islam Makhachev machen dabei keinen Hehl aus ihrer engen Bindung zum Islam, dem sie ihren Erfolg zu großen Teilen zuschreiben. 

„Der Westen“ muß sich in jedem Fall warm anziehen; was hat er diesen jungen hungrigen Männern im Ring oder im Käfig entgegenzusetzen? Deutschen Kampfsportfans sei Enriko Kehl aus Wetzlar empfohlen, der Anfang des Monats einen beeindruckenden siegreichen Kickbox-Kampf bei One gegen den weißrussisch-aserbaidschanischen Striker Chingiz Allazov hingelegt hat.