© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

„Endlich melden sie sich zu Wort!“
Mit ihrer satirischen Corona-Kritik sorgen sie seit Tagen für Schlagzeilen. Doch sind die fünfzig Schauspieler hinter der Aktion #allesdichtmachen den Reaktionen gewachsen? Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld hat den Initiatoren einen offenen Brief geschrieben
Moritz Schwarz

Frau Lengsfeld, Sie haben Jan Josef Liefers einen offenen Brief geschrieben, darin heißt es: „Willkommen in der rechten Ecke!“

Vera Lengsfeld: Das ist natürlich ironisch gemeint, ich schreibe ja weiter: „Schauen Sie sich um, Sie sind in guter Gesellschaft. Ein paar Kostproben?“ Dann zähle ich auf, und erläutere kurz ihre Fälle: Uwe Steimle, Katarina Witt, Sahra Wagenknecht, Nena, Julian Reichelt, Hans-Georg Maaßen, Monika Maron, Cora Stephan, Uwe Tellkamp, Henryk M. Broder, Angelika Barbe, Michael Beleites etc. Man muß nur die Kommentare zu #allesdichtmachen lesen, um keine Illusionen mehr zu hegen, wie es um die Meinungsfreiheit bei uns bestellt ist. 

Nämlich? 

Lengsfeld: Jeder kann natürlich frei seine Meinung sagen – er muß nur in Kauf nehmen, dafür mit Haß und Hetze überzogen und in die „rechte Ecke“ gestellt zu werden! Ich nehme diese angeblich rechte Ecke inzwischen an und fühle mich in Gesellschaft der Genannten wohl. So wie ich mich in der DDR in der Friedens- und Umweltbewegung wohl gefühlt habe, obwohl wir von der SED als Feinde stigmatisiert wurden.

Die Reaktionen auf #allesdichtmachen erinnern Sie an die DDR?

Lengsfeld: Das habe ich nicht gesagt. Allgemein finde ich den Vergleich unserer Situation mit der DDR nicht stimmig. Denn trotz allem haben wir ja noch unser Grundgesetz, und unsere unbedingte Aufgabe ist es, dieses von der Dekonstruktion durch die Bundesregierung und ihre willigen Helfer zu bewahren. 

Vergleiche mit dem SED-Staat führen also in Sachen Corona-Ausnahmezustand aufs falsche Gleis?

Lengsfeld: Ehrlich gesagt bekomme ich bei Ihrer Erwähnung der DDR fast nostalgische Gefühle, denn die Widerständigkeit damals war stets größer als alles, was ich heute erlebe. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß die Leute nun opportunistischer sind oder unsere Fähigkeit damals entwickelter war, politische Tendenzen zu erkennen. Jedenfalls war es etwa unter Verlagslektoren, die etwas auf sich hielten, fast eine Frage der Ehre, ein möglichst kritisches Buch durch die Zensur zu bringen. Was mir dagegen gleich wie in der DDR zu sein scheint, ist, daß die Politiker heute keinen Deut besser sind als die Machthaber damals. Ich erinnere mich noch an die Scham so vieler Systemstützen ab Ende 1989, diesen Figuren nachgelaufen zu sein. Und ich bin sicher, das wird hierzulande auch einmal der Fall sein. 

Was war Ihr erster Eindruck, als Ende vergangener Woche die Aktion #allesdichtmachen von Liefers und Co. bekannt wurde? 

Lengsfeld: Endlich! Endlich melden sich diese Leute zu Wort! Die lange genug geschwiegen haben. 

Zu lange?

Lengsfeld: Nein, ich meine das nicht als Vorwurf, sondern im Hinblick darauf, daß die Kultur von den Corona-Maßnahmen ja ebenfalls schwer betroffen ist. Laut „Bundes-Notbremse“ sind nun nicht einmal mehr Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel erlaubt!

In den sozialen Medien gibt es allerdings diese Kritik: Das fällt denen aber früh auf!

Lengsfeld: Das ist ein Fehler. So verprellt man Verbündete. Außerdem freue ich mich lieber, daß sie den Mut dazu gefunden haben! Es war eine tolle Idee, statt einer anklägerischen Pose einen satirischen Ansatz gewählt zu haben.

Gerade den betrachten nun allerdings einige Teilnehmer als den Fehler ihrer Aktion und entschuldigen sich „für jegliche Mißverständnisse“ (Ken Duken), „dafür, daß das falsch verstanden werden konnte“ (Meret Becker), beziehungsweise das „ohne Kontext oder erklärende Worte veröffentlicht“ zu haben (Martin Brambach und Christine Sommer). Sogar Mitinitiator Liefers bereut die Ironie, denn sie sei „vielleicht wirklich ein ungeeignetes Mittel“.

Langsfeld: Im Gegenteil, eben sie hat dem Protest Subtilität verliehen! Ich räume aber ein, daß es schwierig ist, da Humor und Satire nicht zu den Stärken der Deutschen gehören. Um so wichtiger aber, daß sie sich angesichts der Aktion nun damit auseinandersetzen müssen! 

Zieht der defensive Kleinmut der Schauspieler ihrem Protest nun nicht den Boden unter den Füßen weg?

Lengsfeld: Nein, jeder darf bestimmen, was er aushält. Es ist ganz bestimmt nicht leicht, vom verhätschelten Publikumsliebling zum öffentlich attackierten Paria zu werden: Das ist wie ein Sprung in eiskaltes Wasser, ein Schock. Daher sollte man für ihre Reaktionen Verständnis haben. 

Menschlich ist das verständlich, es ändert jedoch nichts daran, daß ihr Verhalten ihrem Protest doch nun die Spitze nimmt, oder?

Lengsfeld: Das sehe ich nicht so. Wenn man, wie Meret Becker, die erste Morddrohung seines Lebens erhält, kann ich verstehen, daß man wie sie reagiert. Ich erinnere mich schließlich noch, wie das bei mir bei der ersten Morddrohung war.

Sie haben aber, anders als Frau Becker, dennoch nicht klein beigegeben, oder? 

Lengsfeld: Ich habe natürlich auch erst versucht, mich zu verteidigen. Mußte aber schnell lernen, daß das nichts nützt. Ich sehe allerdings keinen Sinn darin, daß Sie ständig nach irgendwelchen Unvollkommenheiten bei diesen Leuten suchen. Zumal Sie vernachlässigen, daß #allesdichtmachen ein helles Schlaglicht auf die geistige Situation des Landes wirft, was doch sehr wertvoll ist! 

Wir leben in der Ära der sozialen Medien: Jeder kann also alles kommentieren. Ist es da nicht naiv von #allesdichtmachen, erschreckt zu sein, nun Kritik, Haß und Drohungen zu bekommen? 

Lengsfeld: Das mag für uns schon lange zum Alltag gehören, Herr Schwarz, aber wie gesagt, als Publikumsliebling lebt man in einer anderen Welt, in der man so etwas nur vom Hörensagen kennt und sich nicht vorstellen kann, daß es einen selbst betreffen könnte. 

Diese Leute lesen doch Zeitung, bekommen also mit, was anderen so passiert und sehen, wie die Welt funktioniert. 

Lengsfeld: Wer weiß, ob sie überhaupt Zeitung lesen und falls ja, welche. Aber eben deshalb halte ich #allesdichtmachen auch für so wichtig: Weil die Aktion Menschen, die sich das bisher nicht vorstellen konnten, zeigt, wie die Realität in diesem Land ist! Denn was sie nun erleben, ist ja keine Ausnahme, sondern der Dauerton, der schon lange hierzulande herrscht, nicht erst seit Corona, und der allen entgegenschlägt, die es wagen, die Regierungspolitik zu kritisieren. 

Die Regierungspolitik? Geht es nicht eher um eine bestimmte gesellschafliche Haltung, die sakrosankt ist?

Lengsfeld: Nehmen Sie etwa Uwe Steimle: Ganz klar wurde er vom MDR für seine Regierungskritik abgestraft!  

Regierungskritik von links gibt es jede Menge, und da passiert in aller Regel nichts, im Gegenteil. Zum Beispiel „Monitor“-Moderator Georg Restle, der die Regierung dauernd kritisiert, dafür aber öffentlich-rechtlich alimentiert wird und den Grimme-Preis erhalten hat.

Lengsfeld: Selbst Herr Restle hat sich allerdings auf Twitter über die Kommentierungen seines ja halbwegs gemäßigten Kommentars zu #allesdichtmachen beschwert. Es muß also auch ihm ganz schön was um die Ohren geflogen sein. Und Uwe Steimle, alter Freund Friedrich Schorlemmers und Gregor Gysis, sowie langjähriger Unterstützer der PDS, ist doch ein ausgewiesener Linker! Ebenso Sahra Wagenknecht, die dennoch stän-dig in die rechte Ecke geschoben werden soll – auch wenn es bei ihr nicht gelingt. 

Während Sie in Ihrem offenen Brief Liefers zu Gelassenheit auffordern, sind er und #allesdichtmachen allerdings eifrig dabei, sich von „rechts“ zu distanzieren.

Lengsfeld: Jeder kann sich von jedem distanzieren, das ist Meinungsfreiheit. Ich sehe darin jedoch auch einen Vorteil, denn so machen sie klar, daß das Nar-rativ, nur „Rechte“ sähen die Corona-Politik so kritisch, falsch ist. Womit sie das Spektrum des Protests verbreitern – und das ist sehr wichtig! Ich hoffe, daß sich noch mehr Künstler der Aktion anschließen werden.

Danach sieht es angesichts der Rückzüge und Entschuldigungen allerdings nicht aus. 

Lengsfeld: Warten Sie doch mal ab! Auch die Künstler bekommen die Bundes-Notbremse jetzt voll zu spüren. Übrigens sind #allesdichtmachen ja auch nicht die ersten Künstler, die solchen Protest organisieren. Den gibt es im kleinen Maßstab schon länger hier und da, etwa in Weimar oder auch in Berlin-Prenzlauer Berg. Daß der nicht mehr nur auf lokaler, sondern nun auch auf nationaler Ebene stattfindet, ist doch ein Riesen-Fortschritt!

Zwei der #allesdichtmachen-Videos kritisieren explizit den Vorwurf, Kritik an der Corona-Politik führe zu „Applaus von der falschen Seite“. Doch das erste, was die Beteiligten nun tun, ist, sich genau dieser Logik zu beugen. Finden Sie das nicht grotesk?  

Lengsfeld: Nein, denn sie stehen ja tatsächlich nicht in der rechten Ecke.

Allerdings etwas erst als Strategie zu entlarven – und es danach selbst für bare Münze  zu nehmen ... Wie paßt das zusammen?

Lengsfeld: Nein, es tut mir leid, Herr Schwarz, aber Meinungsfreiheit einzufordern ist ein Wert an sich! 

#allesdichtmachen kritisiert Alarmismus, Mitläufertum, Hetze, Mangel an Differenzierung und Debatte. Alles Dinge, die die Schauspieler – würden sich die Maßnahmen statt gegen „Corona-Leugner“ gegen „Rechts“ richten – sehr wahrscheinlich nicht kritisieren, sondern sogar vehement fordern würden. Offenbart das nicht Heuchelei, und spielt das denn keine Rolle?

Lengsfeld: Das ist Spekulation, und daran möchte ich mich nicht beteiligen. 

Die Erklärung auf der Netzseite von #allesdichtmachen endet, nachdem es zuvor vor allem um Corona gegangen ist, völlig unmotiviert mit: „Übrigens: #fcknzs“ Zeigt das nicht, daß, was die Initiative für sich selbst an Fairneß einfordert, sie selbst beim Thema „gegen Rechts“ wohl kaum zu gewähren bereit wäre?

Lengsfeld: Ich weiß wirklich nicht, was Sie mit Ihren Einwänden bewirken wollen. Möchten Sie denn lieber beleidigt sein, als sich zu freuen, daß endlich in Sachen Corona-Protest etwas passiert?

Ist es nicht interessant und bis zu einem gewissen Grad auch relevant, nach der moralischen Konsistenz dieses Protests zu fragen?

Lengsfeld: Genau das ist doch gerade eines der großen Übel unserer Zeit! Daß alles moralisiert wird!

Ist die Klage der Schauspieler, ihnen würde nun unverhältnismäßig zugesetzt, überhaupt zutreffend? Schließlich haben die Öffentlich-Rechtlichen bereits erklärt, sie brauchen keine Konsequenzen zu fürchten. Und namhafte Persönlichkeiten, wie Hendrik Streeck oder Armin Laschet, sowie einige Medien, setzen sich für sie ein. 

Lengsfeld: Ich sehe auch das eigentlich als ein gutes Zeichen. Denn Armin Laschet etwa zeigt damit, daß er neue Akzente setzen will. Das hat er ja auch schon mit seiner Feststellung getan, daß Deutschland ein Sanierungsfall ist. Womit er sich, so wie mit der Unterstützung von #allesdichtmachen nun auch, von der herrschenden Politik absetzen will.

Ist das nicht das übliche vor der Wahl „rechts blinken“, danach „links abbiegen“?

Lengsfeld: Kann sein, aber Laschet hat die Partei, also jeden einzelnen, öf-fentlich aufgefordert, Ideen für das neue Bundestagswahlprogramm der Union einzubringen. Was doch eine Abkehr von der Merkelschen Politik darstellt, wie sie größer nicht sein könnte! Leider nur begreifen das so viele Konservative nicht, was mir ein Rätsel ist. 

Inwiefern? 

Lengsfeld: Ich weiß natürlich nicht, ob Laschet bei einer Wahl zum Kanzler all das, was da jetzt gesammelt wird, auch umsetzen würde. Aber für mich war der Versuch, Markus Söder als Kanzlerkandidaten durchzusetzen, der Versuch eines Teils der Partei, einen Neuanfang, für den Laschet steht, zu konterkarieren. Denn tatsächlich wäre Söder derjenige gewesen, das hat er immer auch gesagt, der versucht hätte, den Kurs Merkels fortzusetzen sowie die Hinwendung zu den Grünen zu vollenden. Während Laschet diesbezüglich durch sein Bündnis mit Friedrich Merz einen deutlichen Kontrapunkt gesetzt hat. Die Konservativen, vor allem in der Werteunion, wären also – anstatt sich gegenseitig darin zu bestätigen, wie furchtbar alles ist, seit ihr Kandidat Merz verloren hat – gut beraten, die Aufforderung Laschets ernst zu nehmen und ihre Vorschläge einzubringen!






Vera Lengsfeld, die ehemalige Bundestagsabgeordnete und DDR-Bürgerrechtlerin wurde 1952 im thüringischen Sondershausen geboren. Nach dem Philosophie-Diplom arbeitete sie an der DDR-Akademie der Wissenschaften und als Lektorin. Der SED 1975 beigetreten, erging 1983, wegen ihres Protests gegen Atomraketen in der DDR, Berufsverbot und Parteiausschluß gegen sie. Im Januar 1988 verhaftet, wurde Lengsfeld einen Monat später nach England abgeschoben. Am 9. November 1989 kehrte sie zurück, trat der Grünen Partei bei, in deren Vorstand sie saß und für die sie in die DDR-Volkskammer, später in den Bundestag einzog, dem sie von 1990 bis 2005 angehörte. 1996 trat sie zur CDU über. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt 2020 „Was noch gesagt werden muß. Meine Kommentare 2019“ 

Foto: Oppositionelle Lengsfeld: „Die Aktion wirft ein helles Schlaglicht auf die geistige Situation des Landes ... (die Reaktionen darauf) zeigen Menschen, die sich das bisher nicht vorstellen konnten, wie die Realität bei uns ist. Denn das, was die Schauspieler nun erleben, ist ja keine Ausnahme, sondern der Dauerton, der schon lange hierzulande herrscht, nicht erst seit Corona“  

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