© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Ländersache: Brandenburg
Kein Bergamo an der Havel
Christian Vollradt

Untersuchungsausschüsse gelten als das schärfste Schwert der Opposition. Öffentlichkeitswirksam können sich die Abgeordneten die Regierungsvertreter zur Brust nehmen, mit Widersprüchlichem konfrontieren, Fehlentscheidungen vorhalten. Und während im Bundestag die Kanzlerin höchstselbst über ihre Rolle im Wirecard-Skandal Rede und Antwort stehen mußte, stand einige Kilometer weiter westlich in Potsdam Ministerpräsident Dietmar Woidke im Fokus des Interesses. 

Brandenburgs Landtag ist das erste und bisher einzige Parlament in Deutschland, in dem sich ein Untersuchungsausschuß mit dem Thema Corona befaßt. Im September vergangenen Jahres hatte die AfD seine Einsetzung beantragt und durchgesetzt. Nun sollen die elf Mitglieder „umfassend aufklären, „ob das Handeln (oder Unterlassen) der Brandenburger Landesregierung, der politischen Leitungen der zuständigen Ministerien und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterliegenden Behörden kurz vor Beginn und während der ‘Sars-CoV-2/Covid-19’-Pandemie geeignet, erforderlich und angemessen waren“, lautet der offizielle Untersuchungsauftrag. Konnten die Verbreitung des lebensbedrohlichen Virus’ durch die weitreichenden Maßnahmen wie den „Lockdown“ eingedämmt, „negative Einwirkung auf die Gesundheit der brandenburgischen Bevölkerung“ minimiert werden – oder hätte es „bessere Alternativen zum Regierungshandeln“ gegeben?

Vergangenen Freitag mußte sich nun mit Woidke der höchstrangige Zeuge den Abgeordneten stellen. Wobei die Fraktionen von SPD, CDU, Linken und Grünen auf Fragen verzichteten – sie halten den Ausschuß ohnehin für überflüssig. Außer den Initiatoren beteiligten sich nur noch die Freien Wähler mit eigenen Beiträgen. Den AfD-Fragestellern gelang es indes nicht ganz, den Regierungschef in die Enge zu treiben, sind sich Beobachter einig. Daran hatte auch der Ausschußvorsitzende Daniel Keller (SPD) seinen Anteil, der wie ein Schießhund aufpaßte, daß der Rahmen des Untersuchungsauftrags nicht überschritten wurde. Mehrmals grätschte er hinein, als AfD-Fraktionschef Christoph Berndt das Thema weiten wollte: „Paßt nicht zum Beweisthema. Nächste Frage“, hieß es dann. Teststrategie? Rolle der Kanzlerin? „Nicht zulässig.“

Eingangs offerierte der Vorsitzende Keller seinem Parteifreund Woidke die Möglichkeit, noch einmal das oberste Ziel seiner Regierung in dieser Krise darzustellen: nämlich Bilder wie die aus dem italienischen Bergamo, wo die Särge der Corona-Toten auf Militärlastern ins Krematorium gebracht wurden, in Brandenburg partout zu verhindern. Den Vorhalt der Opposition, daß die Modellrechnungen, auf die sich die Regierung berief, nicht eintrafen, entgegnete Woidke, es stehe „uns nicht zu, Wissenschaftler zu bewerten“. Vorhersagen halte er immer für schwierig. Schlußendlich zähle, „daß wir es geschafft haben mit diesen Maßnahmen, daß wir doch relativ gut durchgekommen sind, was die Todeszahlen betrifft.“ 

Und der Ministerpräsident ging auch zum Gegenangriff über. Zu Beginn der Pandemie habe im Landtag ein großer Konsens darüber bestanden, daß die Landesregierung schnell und entschlossen handeln müsse. „Es gab auch Aussagen aus der AfD-Fraktion, daß parteipolitische Ziele hinten angestellt werden.“