© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Jeder darf, wie sie will
Paul Rosen

Sprache ändert sich. Nicht ohne Grund werden Latein und Altgriechisch als „tote Sprachen“ bezeichnet, weil sich Wörter und Grammatik nicht mehr ändern. Die deutsche Sprache hingegen verändert sich in unglaublichem Tempo. Wörter verschwinden aus dem Sprachgebrauch wie die Telefonzelle, es gibt Neuschöpfungen wie „Netflixserie“, oder Wortkombinationen wie „Impfeinladung“, und alte Wörter wie Pandemie tauchen wieder auf. 

Die Schriftsprache erlebt ähnliche Veränderungen: Seit der Rechtschreibrefom 1996 („Schifffahrt mit drei f) ist allerdings ein zunehmendes Durcheinander festzustellen. Auch im Bundestag wird das Chaos in der Schriftsprache immer größer.

Aus Studenten sind inzwischen „Studierende“ geworden, Dozenten sind „DozentInnen“, Dozent*innen oder Dozent_innen. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) legte im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf zum Insolvenzrecht vor, in dem durchgängig von „Arbeitnehmerinnen“ und „Verbraucherinnen“ die Rede war. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verweigerte dem Entwurf die notwendige Zustimmung, weil die Gefahr bestehe, daß das Gesetz nur für Frauen gelten könne. Denn das generische Femininum sei zur Verwendung für weibliche und männliche Personen bisher nicht anerkannt. Gewunden ließ der CSU-Politiker ausrichten, ihm sei sehr bewußt, daß Sprache einem gesellschaftlichen Wandel unterliege. Aber ein Gesetz könne erst dann in einer anderen Sprachform abgefaßt werden, wenn ein gesellschaftlicher Konsens vorliege.

Von einem Konsens ist nichts zu sehen, und so geht es im Bundestag drunter und drüber. Präsident Wolfgang Schäuble (CDU) läßt inzwischen alle schreiben, was und wie sie wollen. Das führt zu skurrilen Erscheinungen. In den Empfehlungen eines „digitalen Bürgerrates“ zu „Deutschlands Rolle in der Welt“ wird das schreiberische Kauderwelsch ausdrücklich gelobt: „Manchen der Teilnehmenden und zum Teil auch dem Team war das Gendern wichtig, anderen nicht und so hat der Bürgerrat in seinem großen Respekt gegenüber Andersdenkenden die Vielfalt zugelassen.“

Auch im Parlament wird es immer verrückter. So darf jede Fraktion in Anträgen schreiben, wie sie will. Das führt dazu, daß in den Beschlußempfehlungen für das Plenum, wo Anträge von AfD bis Linken und Berichte aus Ausschüssen zu einer gemeinsamen Drucksache zusammengefaßt werden, sich mehrere Schriftvarianten finden – von normaler Duden-Rechtschreibung über moderates bis zum extremen Gendern, das kein Mensch mehr vorlesen kann.

Im Unterschied zu Schäuble und Seehofer nahm Friedrich Merz (CDU), der dem nächsten Bundestag wieder angehören dürfte, bei diesm Thema kein Blatt vor den Mund: „Grüne und Grüninnen? Frauofrau statt Mannomann? Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Mutterland? Hähnch*Innen-Filet? Spielplätze für Kinder und Kinderinnen? Wer gibt diesen Gender-Leuten eigentlich das Recht, einseitig unsere Sprache zu verändern?“