© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Zündstoff an der Lunte des Westbalkans
EU-Diplomatie: Ein „Non-Paper“ zur Neuaufteilung läßt die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie Albanien erbeben
Filip Gaspar

Als Non-Paper werden in der Diplomatensprache unterschriftslose Dokumente bezeichnet, die keine offizielle Position wiedergeben, sondern einzig als Gesprächsgrundlage gedacht sind. Ein solches Non-Paper mit dem Titel „Westbalkan – Ein Weg nach vorn“ wurde vor einigen Wochen von der slowenischen Online-Seite Necenzurirano.si geleakt.

Dieses war schon im Februar bei Charles Michel, dem EU-Rats-Präsidenten, eingegangen, und der Inhalt bot mehr als nur Zündstoff für das sogenannte Pulverfaß Balkan. In dem Dokument wird eine Neuordnung der Grenzen auf dem Westbalkan nach ethnischen Kriterien propagiert. Deren Ziel soll eine langfristige Stabilisierung der Region und eine Abschwächung der Einflußnahme der Türkei sein, die von einem Neo-Osmanismus träumen. 

Um dies zu erreichen, sollen die drei Staaten Kroatien, Serbien und Albanien gestärkt werden, da sie – für westbalkanische Verhältnisse – stabile Regierungen vorweisen können. Seit dem Daytoner Friedensabkommen von 1995 besteht Bosnien und Herzegowina aus zwei Entitäten: der „kroatisch-muslimischen Föderation“ und der serbisch dominierten „Republika srpska“. 

Sloweniens Ansehen ist leicht angekratzt

Laut diesen neuen Grenzziehungsplänen würde der Staat komplett neu geordnet werden. Serbien würde große Teile der „Republika srpska“ erhalten und müßte im Gegenzug seine Gebiets-ansprüche an das Kosovo aufgeben. Für Kroatien gibt es zwei Vorschläge. Entweder schließen sich die Gebiete Bosnien und Herzegowina mit mehrheitlich kroatischer Bevölkerung Kroatien an oder es wird eine dritte kroatische Entität in der West-Herzegowina geschaffen. 

Die muslimischen Bosniaken müßten sich dann im verbliebenen Staatsgebiet entscheiden, ob sie eine engere Anbindung an die EU oder an die Türkei möchten. Weiter ist vorgesehen, daß Albanien und das Kosovo sich zusammenschließen.

Die Veröffentlichung des Schreibens schlug hohe Wellen in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Die slowenische Botschafterin und die EU-Delegation bekannten sich zur territorialen Unversehrtheit Bosnien-Herzegowinas.

Aus Sloweniens Hauptstadt kam umgehend ein Dementi zur Urheberschaft des Non-Papers, das zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt hätte kommen können. Schließlich übernimmt Slowenien im Juli die EU-Ratspräsidentschaft, und ein Schwerpunkt liegt auf dem Balkan. Doch daß man nichts von dem Non-Paper gewußt habe, gilt als unwahrscheinlich. Edi Rama, Ministerpräsident Albaniens, sagte, daß ihm der slowenische Ministerpräsident Janez Janša das Dokument bereits gezeigt habe. Es bleibt die offene Frage, wer als Verfasser angenommen werden kann. 

Es ist kein Geheimnis, daß Janša ein gutes Verhältnis zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán pflegt, der Ungarns Einfluß auf dem Balkan stärken möchte, und auch zum serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, der als Gewinner bei einer Umsetzung des Non-Papers dastehen würde. 

Neben Ungarn wird auch Rußland als Verfasser genannt, und andere Stimmen sagen, daß es eine gezielt gestreute Fälschung sei, die den Bosniaken in die Hände spielte. Wer auch immer dahintersteckt, Slowenien wird angeschlagen seine Ratspräsidentschaft im Juli antreten und versuchen müssen, verlorenes Ansehen sowohl in der Region als auch in Brüssel wiederzugewinnen.