© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

Xiye angesagt – Greta und Luisa abgemeldet
Wirtschaftspolitik: US-Präsident versammelte 40 Staats- und Regierungschefs zum Klimagipfel / Ungleiche Ziele
Paul Leonhard

Es war eine Dystopie vom grünen Klimaparadies: Keine Regierungsflugzeuge, keine Motorradstaffeln, keine abgesperrte Innenstadt. Die 40 Staats- und Regierungschefs, die  US-Präsident Joe Biden vorige Woche zum zweitägigen Klimagipfel gebeten hatte, trafen sich online. Der Präsident nutzte die Chance, sich bei Wladimir Putin indirekt dafür zu entschuldigen, daß er ihn als „Killer“ bezeichnet hatte, indem er die „Signale der Kooperationsbereitschaft“ des russischen Präsidenten lobte.

Daß Putin den französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterbrach, war kein globaler Umsturzversuch, sondern eine Panne, ausgelöst von Antony Blinken. Der US-Außenminister war wohl eingenickt und hatte geglaubt, der Franzose sei am Ende seiner Ausführungen angelangt: „Ich übergebe nun das Wort an den Präsidenten Rußlands, seine Exzellenz Wladimir Putin.“ Damit war Macron weg vom virtuellen Fenster und den Russen traf es etwas unvorbereitet.

Sonderregelungen für die Volksrepublik China

Unbeabsichtigt wurde so auch klar, daß Macron gar nicht live sprach, sondern es sich um eine aufgenommene Rede handelte, die auch nach der Schaltung zu Putin weiterlief. Auch sonst wurde beim „Virtual Leaders Summit on Climate“ aneinander vorbeigeredet. Denn was bedeutet es, wenn die USA ihre CO2-Emissionen halbieren, während die EU ihrerseits um 55 Prozent reduzieren will. Beide wollen das bis 2030 erreichen, aber Washington wählt als Vergleichsjahr 2005, Brüssel 1990. Der britische Premierminister Boris Johnson versprach bis 2035 sogar 75 Prozent.

Das kommunistische China, derzeit für 28 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, will im Jahre 2030 seinen Höchstausstoß erreichen. Erst dann will das 1,4-Milliarden-Einwohner-Reich bis 2060 allmählich „klimaneutral“ werden. Die EU, für acht Prozent der Emissionen verantwortlich, verspricht das bis 2050. Die USA, laut Biden für 15 Prozent verantwortlich, versprechen eine „net-zero emissions economy“ bis „spätestens 2050“. Deutschland habe seine Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent gesenkt, sagte Angela Merkel. Und man werde weiterhin seinen „Beitrag leisten, um das nun verbindliche EU-Ziel“ verwirklichen zu helfen.

Macron, dessen Rede nach der Putins vollständig eingespielt wurde, meinte: „Im Grunde sei das Jahr 2030 das neue 2050.“ Angesichts von 71 Prozent Atom- und elf Prozent Wasserkraft, aber nur acht Prozent Kohle, Gas und Öl bei der Stromerzeugung scheint das im deindustrialisierten Frankreich keine Luftnummer. Und im Gegensatz zu Donald Trump, dessen Wähler und Förderer aus den traditionellen Wirtschaftszweigen kommen, sieht sich Biden dem Pariser „1,5-Grad-Ziel“ beim globalen Temperaturanstieg verpflichtet: „Kein Land kann diese Krise allein lösen“, mahnte er. „Wir müssen schnell handeln, um diese Herausforderungen zu meistern. Die Kosten des Nichtstuns werden immer höher.“

Kohleausstieg hier, Kapazitätsausbau dort

Das steht fast wortgleich in der „Klimastrategie der CSU“, die Markus Söder 2019 anläßlich des „Fridays for Future“-Hypes seiner Partei verordnete. Daß sich Deutschland mit einem jährlichen Pro-Kopf-Ausstoß von 9,1 Tonnen CO2 kaum von China (acht Tonnen) unterscheidet, wurde natürlich nicht thematisiert. Daß die USA, wo Strom, Benzin und Gas spottbillig sind, auf 16,1 Tonnen kommen, rechtfertigt wohl die Sonderregelungen für China. Dort wurde allein im Januar und Februar der Kohleabbau gegenüber dem Vorjahreszeitraum um ein Viertel gesteigert.

Kein Überfallkommando von Extinction Rebellion (XR) oder ein freitägliches Schulschwänzen hat das verhindert. Und das liegt nicht daran, daß China zeitgleich auch brav Milliarden in Wasser-, Wind- und Solarkraft investiert und zwar mehr als die USA, Japan und die EU zusammen. Nein, zusammen mit Atomkraft will das Reich der Mitte ein gegen Sanktionen wie Lieferausfälle resistentes Stromnetz errichten. Auch im 1,3-Milliarden-Einwohner-Land Indien sollen bis 2030 neue Kohlekapazitäten von 70 Gigawatt ans Netz gehen. Das ist mehr als doppelt soviel wie Deutschland bis 2037 an Kohlekapazität stillegen will.

Der Energy Transition Index des Weltwirtschaftsforums (WEF) hat andere Prioritäten, der legt auf „nachhaltige“ und „inklusive“ Energiesysteme wert: Dort steht Schweden – dank Atom-, Wind- und Wasserkraft sowie Holzeinsatz – seit vier Jahren an der Spitze, aktuell gefolgt von Norwegen, Dänemark, der Schweiz, Finnland und Österreich. Die USA liegen auf Platz 24 und damit weit vor China (68) und Indien (87). Deutschland wird auf Platz 18 gelistet.

Parallel zu Bidens Klimakonferenz haben zehn XR-Aktivistinnen aus Protest gegen die aus ihrer Sicht falsche Investitionspolitik der britischen Großbank HSBC mit Hammer und Meißel Löcher in das Sicherheitsglas einer Filiale in London gehackt. Daß die Glas-Herstellung energieintensiv ist, scheint egal: Auch bei dem Angriff auf die Barclays-Zentrale wenige Wochen zuvor hatten die als Umweltschützer getarnten Chaoten Scheiben zerstört.

Aber die softeren „Fridays for Future“-Aushängeschilder Greta Thunberg und Luisa Neubauer scheinen wohl bei den „Leaders of the World“ abgemeldet. Auf Einladung des Weißen Hauses durfte diesmal die chilenisch-mexikanische Klimaaktivistin Xiye Bastida zu den virtuellen Konferenzteilnehmern sprechen. Daß die 19jährige Studentin, die seit 2015 mit ihren klimabewegten Eltern im teuren New York lebt, früher auch XR-Mitglied war, störte dabei niemand. 


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