© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/21 / 30. April 2021

„900.000 Euro eingestrichen“
Wirtschaftsverbrechen: Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuß
Martin Krüger

Auf der Zielgeraden des Wirecard-Untersuchungsausschusses haben die Prominenten „alles dichtgemacht“, was ihnen zum Nachteil werden könnte. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte dazu angeblich nur 30 Minuten Vorbereitung gebraucht. Auch andere Großkoalitionäre waren vorige Woche vor den von Kay Gottschalk (AfD) geleiteten Bundestagsausschuß geladen – Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Justizministerin Lambrecht (SPD) sahen sich ebenso schuldlos wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Der SPD-Kanzlerkandidat trat gewohnt kaltschnäuzig auf, als „aalglatte Reizfigur“, wie der Sender N-TV ätzte. Auf die Frage, ob es volle Transparenz sei, wenn dem Ausschuß erst Stunden vor einer Zeugenbefragung 100 Aktenordner zugeschickt würden, sagte er: „Ja.“ Und Scholz stellte klar, daß er erst seit März 2018 im Amt sei. Nur gab es da schon Kritisches zu dem Zahlungsdienstleister Wirecard. Ein kurzes „Nein“ kam auf die Frage, ob er gar keine Versäumnisse oder politische Verantwortung bei sich sehe.

Merkwürdig, ist er doch verantwortlich für die Finanzaufsicht BaFin, die im Februar 2019 ein umstrittenes Leerverkaufsverbot für den Dax-Konzern verhängte – jene Behörde also, die nicht nur dem Financial Times-Journalisten Dan McCrum wie der verlängerte Arm des Wirecard-Vorstands vorkam (JF 50/20). Einen Schutzwall hatten bereits vorher die Finanz-Staatssekretäre Jörg Kukies und Wolfgang Schmidt aufgetürmt. Die beiden SPD-Mitglieder sind sicher, daß Scholz nichts wußte. Dafür blieben beide Beamte bei konkreten Themen vage.

„Eine Bundeskanzlerin für Geschäfte einspannen“?

Einräumen mußte Scholz, daß er Mails vom privaten Account an Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) verschickt hat. Zum Weiterleiten von Zeitungsartikeln würde er lieber seine Privatadresse nehmen. Das zeige, so Scholz, „wie sehr ich mich um die Sache gekümmert habe“. Mit weiteren Mails ist wohl nicht zu rechnen, denn Scholz gab seine Gewohnheit preis, private Mails schnell zu löschen.

Für Angela Merkel war auch alles in bester Ordnung: Es habe „ausweislich der Akten keinen Hinweis auf schwerwiegende Unregelmäßigkeiten“ und genausowenig eine Vorzugsbehandlung von Wirecard auf ihrer China-Reise 2019 gegeben. Dabei ist aber bekannt, daß ein Kanzleramtsmitarbeiter von einem Treffen mit Wirceard-Chef Markus Braun abgeraten hatte. Offiziell gab es Terminschwierigkeiten. Umwege nahm die Kanzlerin auch auf ihrem Weg zum Ausschuß durch die Katakomben – damit der Presse ausweichend. Dort stellte sie lapidar fest, daß man im nachhinein schlauer sei, aber jetzt ja die BaFin mehr Kompetenzen erhielte und die Wirtschaftsprüfer stärker kontrolliert würden. Ob Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei seinem Besuch ihr gegenüber Wirecard angesprochen habe? Keine Erinnerung. Entlocken ließ sich Merkel nur, daß ihr Ex-Minister „ganz interessengeleitet“ an Lars-Hendrik Röller verwiesen worden sei. Der ist ihr Wirtschaftsberater und wählt unternehmerische Gesprächspartner für Reisen aus.

Daß Röllers Ehefrau Chinesin ist, hat ein Geschmäckle. Die „Hausfrau“ soll ihrem Ehemann schon mal mit Kontakten ins Reich der Mitte ausgeholfen haben. Aber auch der einstige Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer soll mit seiner Frau über seinen Großkunden, den TV-Unternehmer Leo Kirch, gesprochen haben. Eben so, wie man das beim Frühstücken tue. Immerhin beschrieb die Kanzlerin nach fünf Stunden Befragung ihr aktuelles Verhältnis zu Guttenberg so: „Unser Kontakt ist derzeit erstorben.“

Noch enttäuschter ist der stellvertretende Ausschußvorsitzende Hans Michelbach (CSU): „Der Wirecard-Skandal hat mich die Freundschaft zu Guttenberg gekostet“, gestand der Politiker. „Man kann nicht eine Bundeskanzlerin für Geschäfte einspannen. Vor allem dann nicht, wenn man das Geschäftsmodell selbst nicht geprüft und dafür auch noch 900.000 Euro eingestrichen hat.“

Linken-Experte Fabio De Masi fand, daß sich die Kanzlerin zwar Mühe gegeben habe, eine sympathische Ahnungslosigkeit vorzugeben, aber das nehme er ihr nicht ab. 98 Personen wurden in 44 Sitzungen seit Oktober 2020 befragt, und es geht weiter. Eine Erkenntnis scheint schon festzustehen: Hätte es eine „Aufsicht mit Biß“ (Olaf Scholz) gegeben, wäre Wirecard 2018 nie in den Dax aufgenommen worden, sondern schon Jahre zuvor ein Fall für Insolvenzverwalter geworden.

Aussagen im Wirecard-Ausschuß: bundestag.de